Mehr Angebot als Nachfrage

Und noch ein Mythos: Der Wahlkampf ist so fad. Ist das wirklich so? War das früher anders? Und wäre das wirklich so schlecht? Wenn er so fad wäre wie behauptet.

Die Politikverdrossenheit hat sich ein neues Leibchen übergestreift und turnt nun als stoische Allwissenheit um die Stammtische des Landes. Das Mantra der Verdrossenen, im Kennerton vorgetragen, lautet: Die Wahl ist entschieden, deswegen ist alles so fad. Oder aber: Die Parteien sind alle gleich, es gibt ja keinen Streit, deswegen ist alles so fad.“

Dieser Befund bezieht sich – auf Deutschland. Ulf Poschardt hat dies vor einigen Tagen in der „Welt“ geschrieben. Und so muss auch der Österreicher, insbesondere jener von Welt, der gern nach Deutschland blickt, sehnsuchtsvoll und andächtig, im sicheren Wissen, dass dort alles besser sei, vor allem in der Politik, feststellen, dass dort anscheinend auch nicht alles besser ist. Zumindest nicht, was die Anmutung des Wahlkampfs betrifft.

Fad sei er und inhaltsleer, der Wahlkampf, jammert auch der Österreicher. Und recht hat er. Auf den ersten Blick. Und auch auf den zweiten. Auf den dritten allerdings dann doch nicht so ganz. Denn was dem Österreicher bei all den Wahlkampffloskeln und dem üblichen großkoalitionären Kleinkrieg dieses Mal geboten wird, ist eine doch selten da gewesene Auswahl.

Mögen sich SPÖ und ÖVP während des Jahres auch ideologisch immer wieder einander nähern, im Wahlkampf werden die Unterschiede wieder sichtbarer. Zudem gibt es in der Mitte beziehungsweise rechts von ihr heuer fast mehr Angebot als Nachfrage: Neben der ÖVP tummeln sich dort die Neos, das Team Stronach, das BZÖ und weiter draußen auch die FPÖ. Parteien, die, bei all ihren Unterschieden, großen Wert auf ihre inhaltlich-ideologische Ausrichtung legen. Sogar das Team Stronach.

Die wahlwerbenden Parteien haben relativ eindeutig ihre Positionen bezogen: Die SPÖ setzt wieder auf Umverteilung. Die ÖVP auf Eigentum. Die Grünen arbeiten weiter an ihrem Anspruch, einen neuen, besseren Menschen zu schaffen. Wofür die FPÖ steht, weiß ohnehin jeder, da braucht sie gar nicht mehr allzu deftige Sprüche zu plakatieren. Das Team Stronach und das BZÖ pflegen eine kleinbürgerliche Spielart des Liberalismus, die eine ist mehr amerikanischer, die andere mehr Kärntner Provenienz. Und die Neos versuchen die bildungsbürgerlichere, urbanere Variante der „Mehr privat, weniger Staat“-Weltanschauung.

Im Summe also: Ein Wahlkampf mit einem großen Angebot an Parteien, aber wenigen bestimmenden Themen. So aufgesplittert die Parteienlandschaft ist, so aufgesplittert ist auch das Themenspektrum. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Spannend werden Wahlkämpfe vielfach ohnehin erst in der Nachbetrachtung. Auch 2006 hieß es, der Wahlkampf sei entschieden, die SPÖ nach dem Bawag-Desaster abzuschreiben. Es sollte anders kommen. Manche Kampagnen werden aber auch nachträglich nicht wirklich spannend: Vom 2008er-Wahlkampf sind eigentlich nur noch der Faymann-Gusenbauer-Brief an die „Kronen Zeitung“ zu Beginn und die „Lange Nacht der Wahlgeschenke“ im Nationalrat am Ende in Erinnerung.

Eine Ausnahme bildet die Nationalratswahl 2002: als sich in einem Lagerwahlkampf die aufgestaute Aggression der vorangegangenen „Wende“-Jahre entlud. So polarisiert und politisiert war das Land seither nicht mehr.

Auf Dauer hält eine Gesellschaft so eine Polarisierung allerdings auch schwer aus. Und im Zweifel ist ein unaufgeregter Wahlkampf einem aufgeregten mit radikalen, verhetzenden Tönen dann doch vorzuziehen. Die Inhaltsleere dieses Wahlkampfs, vor allem das Fehlen einer großen Erzählung der einzelnen Partei, wohin es mit dem Land gehen soll, kann man zu Recht beklagen. Aber bei Lichte betrachtet, muss man sagen: Es gibt nicht die zwei, drei großen Themen – aber es gibt Dutzende kleine.

Und auch hier gilt, was der „Welt“-Kollege über Deutschland schreibt, auch für Österreich: „Die Vorstellung, dass jedem Wahlberechtigten die Meinung mundgerecht serviert werden muss, ist ein Missverständnis der Demokratie. Wer sich nicht informiert, wählt blind. Und hat nichts verstanden.“

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2013)

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