Unsere Begegnungszone heißt Schulpolitik

Wir sollen die Autos stehen lassen, die Kinder in einheitliche Schulen schicken: Warum dürfen bestenfalls durchschnittliche Politiker so experimentieren?

Die Wiener Mariahilfer Straße, das neue Sinnbild für kopflose Lokalpolitik, und die österreichische Bildungspolitik, das alte Modell für kopflose Parteipolitik, haben einiges gemeinsam: Keiner argumentiert rational. Viele wollen nichts mehr darüber hören und lesen, obwohl es für die Betroffenen wichtig ist und für die Nichtbetroffenen als Streitthema taugt. Vor allem aber: Ohne Gewerkschaft geht nichts. Es macht keinen Unterschied, ob es sich um 13A-Busfahrer oder Lehrer handelt.

Die Lehrergewerkschafter haben bisher noch jede große Schulreform verhindert oder – meist zu eigenen Gunsten – mitbestimmt. Das macht sie so mächtig, das macht sie unter Lehrern so populär. Sie dafür zu attackieren ist vielleicht emotional verständlich, aber eine Themenverfehlung. Die Lehrergewerkschaft vertritt eine Berufsgruppe, nicht Schüler, nicht deren Eltern, schon gar nicht die Politik. Es ist einzig und allein die Schuld einer Bundesregierung, wenn und ob ein Fritz Neugebauer und Söhne in jeder Verhandlungsrunde erfolgreich bleiben. Zugegeben: Das widerspricht ein bisschen dem Lokalkolorit, wonach die sozial wärmenden und gesellschaftspolitisch umsichtigen Vertreter von Arbeitnehmern und -gebern – und nichts anderes sind die Schulverhandlungspartner – stets das große Ganze im Blick hätten. Aber Sozialpartner können sich nicht um alles kümmern, die Tage sind dicht an Interview- und Kameraterminen.

Die zuständige Ministerin, Claudia Schmied, also quasi die Maria Vassilakou der Bundespolitik, meint ohnehin, wir seien schon nahe an der Gesamtschule, die sie so nicht mehr nennen will. Zynischerweise könnte man diesem Befund in Wien durchaus zustimmen: Hier drängen alle ins Gymnasium. Das aber wollen die State-of-the-Art-Experten nicht und diese alte Schulform gegen etwas Modernes eintauschen, was im Idealfall irgendwie skandinavischer wirkt. Interessanterweise sind es die beiden siegreichen ÖVP-Landeshauptleute Günther Platter und Wilfried Haslauer – in Wiener Politikjournalisten- und Links-Berater-Kreisen bis vor Kurzem immer ein guter Anlass für ein paar Konsi-Onkel-Witze –, die in ihren Ländern neue Schulmodelle erarbeiten. Gegen sie werden wohl auch die Fortschrittsbeamten im Wiener SPÖ-Bildungswerk nicht viel einwenden können, auch wenn sie keine Abschaffung jedweden Leistungsgedankens darstellen. Allerdings: Sollte der Begriff Gymnasium stehen bleiben, könnte es unangenehm werden. Dann ist der Rückschrittlichkeitsvorwurf nämlich schnell erhoben. Es geht schließlich um die Symbolik und nicht um die dummen Kinder.

Bleiben als Problem die Städte, allen voran Wien: Hier gibt es weniger ein Bildungs- denn ein Integrationsproblem. Notwendige Maßnahmen wie kostenloser Kindergarten und Vorschulpflicht wurden zwar gesetzt, aber sehr spät. Wie absurd politische Ansagen und Realität auseinanderklaffen, zeigt die Wiener Stadtschulratspräsidentin. Im „Presse“-Interview verteidigt sie ihr Ziel eines flächendeckenden Ganztagsschulausbaues mit dem schönen Argument im DDR-Style: Wer mittags nach Hause wolle, müsse eben in die Privatschule gehen. Warum nicht gleich: Und wer nicht lernen will, wie fortschrittlich das rote Wien unterrichtet, soll der Kirche und ihren Schulen folgen? Was Susanne Brandsteidl zuvor lösen sollte: Es gibt Bezirke in Wien, in denen es sogar zu wenige Volksschulen mit altmodischer Nachmittagsbetreuung gibt.


Ob Ganztagesschule, Gesamtschule oder Gymnasium, Frau Brandsteidl, Frau Schmied und Herr Neugebauer müssen endlich verstehen: Weder der Staat noch die Standesvertreter sollen oder dürfen allein bestimmen, welches Kind auf welche Schule zu gehen hat. Das entscheiden dessen Eltern. Die öffentliche Hand ist ein mit Steuern finanziertes Serviceunternehmen, es hat sich nach den Bedürfnissen seiner Finanziers zu richten und daher ein breites differenziertes Leistungsangebot zu organisieren. Die erfolgreiche – also meist die gut, weil mit motivierten Lehrern ausgestattete Schulform– wird sich ohnehin durchsetzen.

Eltern und Schüler sind ebenso wenig gesellschaftspolitische Experimentier-Verschubmasse für Politiker wie Stadtbewohner für diverse verkehrsplanerische Selbstdarstellung.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2013)

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