Macht braucht Kontrolle: Das englische Patent

Was wir vom Mutterland der Demokratie lernen können. Und warum es vielleicht besser ist, dass die Gesetze hierzulande nicht vom Parlament gemacht werden.

Die Engländer haben es eindeutig besser gemacht als die Franzosen. Deren Revolution von 1789 gilt zwar gemeinhin als der Aufbruch in das Zeitalter der Volksherrschaft. Sie hat jedoch in die Diktatur geführt, erst in jene Robespierres, dann in jene Napoleons. Die Engländer hingegen haben in ihrer Glorious Revolution den Weg dafür bereitet, was Montesquieu – ein Franzose! – dann die Gewaltenteilung nennen sollte: Es gibt eine gesetzgebende Gewalt, die beim Parlament liegt, es gibt eine ausführende Gewalt, die bei der Regierung respektive beim König liegt, und dazu gibt es noch eine unabhängige richterliche Gewalt.

Macht braucht Kontrolle. Beziehungsweise: Die Freiheit des Einzelnen ist in einem System am besten gewährleistet, in dem die Macht geteilt ist.

Im revolutionären England der Jahre 1688 und 1689 waren es die Abgeordneten des Parlaments, die sich selbst ermächtigten, einen König, Wilhelm III. von Oranien, einzusetzen, der diesem Ruf auch folgte und die Reformen mittrug. Fortan war nicht mehr der König der eigentliche Souverän, sondern das Parlament. Nach 1707 war dann auch noch das bestehende königliche Veto gegen Parlamentsbeschlüsse Geschichte. Die Franzosen näherten sich erst in der nachnapoleonischen Zeit langsam dem englischen System an.

Österreich brauchte noch länger. Nach der Revolution von 1848 drehte Kanzler Metternich das Rad der Zeit zurück, der Kaiser herrschte wieder absolut, eine Verfassung blieb den Bürgern verwehrt. Erst 1861 war Franz Joseph zu weiter reichenden Zugeständnissen an das Bürgertum bereit: Der Reichsrat wurde zum Parlament. Erst wurden die Mandatare zum Unterhaus von den Landtagen entsandt, dann nach einem Zensuswahlrecht – wahlberechtigt war man erst ab einer bestimmten Steuerleistung – gewählt, später folgte das allgemeine Männerwahlrecht.

Ein Parlament im heutigen Sinn gab es erst nach 1918. Hans Kelsen, der die noch heute maßgebliche Verfassung von 1920 entwarf, hatte diesem darin die entscheidende Rolle zugedacht.

De iure ist der österreichische Nationalrat also überaus mächtig, de facto ist er es nicht. Es ist die Regierung, genauer gesagt, es sind die Experten in den Ministerien, die heute die Gesetze ausarbeiten – und nicht das Parlament. Dieses ist mehr oder weniger ein Abnickorgan von Vorlagen der Regierung. Zudem kam in der Zweiten Republik als Nebenregierung die Sozialpartnerschaft hinzu, die ebenfalls Gesetzgeber spielen wollte – und auch über die Maßen spielte. In der Vergangenheit noch stärker, aber auch heute noch stark genug.

Was von der realen Macht des österreichischen Nationalrats des Jahres 2013 zu halten ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass selbst außergewöhnliche Instrumente des Parlamentarismus mittlerweile zur Routine erstarrt sind. Die Einberufung einer Sondersitzung sorgt höchstens für „Nicht schon wieder“-Raunen, ein Misstrauensantrag gegen einen Minister interessiert bestenfalls politische Feinspitze, der Rest wendet sich gelangweilt ab.

Und die Vermutung liegt nahe, dass ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung glaubt, dass am 29. September die Regierung gewählt wird und nicht der Nationalrat.

All das liegt natürlich auch am parlamentarischen Personal. Höchstwahrscheinlich ist es ohnehin besser, dass die Gesetze hierzulande von den Experten in den Ministerien erdacht und gemacht werden und nicht von den Abgeordneten zum Nationalrat, den roten Gewerkschaftsfunktionären, den schwarzen Bauernbund-Mandataren, den blauen Burschenschaftern, den orangen Glücksrittern und Stronach-Überläufern, den selbstgerechten grünen Weltverbesserern. Wer ein Mandat bekommt, entscheidet in Österreich einzig und allein die Partei (und bei manchen schlicht die Laune ihres Anführers). Und so sieht der Nationalrat dann auch aus.

Die Briten übrigens haben ein die Auswahl selbst- und verantwortungsbewusster Abgeordneter begünstigendes Mehrheitswahlrecht. Vielleicht sind sie auch diesbezüglich einen Schritt voraus.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2013)

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