Warum sollten die Deutschen überhaupt noch FDP wählen?

Nach dem Debakel in Bayern winseln die Liberalen um Zweitstimmen bei der Bundestagswahl. Sie sollten lieber überzeugend darlegen, wofür sie gut sind.

Sentimentalität ist keine politische Kategorie. Und so hat es sich Bayerns fulminant wiedergewählter Monarch, Pardon, Ministerpräsident Horst Seehofer nicht nehmen lassen, seinem bisherigen Koalitionspartner FDP, der fünf Jahre lang immerhin gut genug war, Seehofer die Mehrheit zu sichern, lustvoll nachzutreten: Nein, Leihstimmen gebe es keine, sagte Seehofer auch mit Blick auf die Bundestagswahl, die FDP habe „ein riesiges Wählerpotenzial“, auch in Bayern, dieses zu heben sei aber nun mal ihre Aufgabe. Schmeck's.

Schadenfreude ist dafür sehr wohl eine politische Kategorie. Da der SPD schon nicht das eigene Ergebnis Grund zum Jubeln lieferte, delektierte man sich im Willy-Brandt-Haus zumindest am Debakel der FDP, sah im Triumph der Union vor allem eine Absage an Schwarz-Gelb. Mit Schadenfreude kommentierte SPD-Chef Gabriel auch den Umstand, dass ein gestärkter Seehofer Angela Merkel noch viel Freude bereiten werde, so sie Kanzlerin bleibe. Davon dürfte Gabriel erstens ausgehen, und zweitens wäre dann Seehofer vielleicht auch sein Problem. Wenn es nämlich zu der Koalition kommt, die die Deutschen derzeit klar favorisieren: einer Großen.

Seehofers Sieg nütze nur Seehofer, resümierte die „Zeit“, und man sollte aus dem Ergebnis der Bayern-Wahl auch nur mit großer Vorsicht bundespolitische Folgen ableiten. Der Rückenwind, den die CDU zu spüren meint, hält nicht unbedingt an. Manch bayerischer Unions-Anhänger dürfte sich zufrieden zurücklehnen, jetzt, da der – aus dortiger Sicht – gottgewollte Normalzustand (Alleinregierung) wiederhergestellt ist und man also seine Wählerschuldigkeit getan hat.

Direkt fühlbare Auswirkungen gibt es allenfalls für die FDP. Die wurde dafür in helle Panik versetzt. Zu lange haben es sich die Liberalen auf den fünf, sechs Prozent der Umfragen bequem gemacht. Nur nicht bewegen, das kostet bloß Energie, schien das Motto, doch nun hat die Bayern-Wahl die FDP brutal aus dieser stabilen Seitenlage gekippt. Dies sei ein „Weckruf“, so die Sprachregelung. Aufwecken kann man aber nur jemanden, der bisher geschlafen hat. Dass eine Partei, die um Zweit- respektive Leihstimmen winselt, nicht gerade ein vertrauenerweckendes Bild abgibt, fällt Philipp Rösler und Rainer Brüderle, der 68-jährigen Zukunftshoffnung der Partei, in ihrem Schockzustand gar nicht mehr auf.

Immerhin könnten die Liberalen nun gezwungen sein, endlich eine umfassende Antwort auf eine seit geraumer Zeit offene Frage zu geben: Wozu gibt es sie eigentlich noch, diese FDP? Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die heilige Johanna des Datenschutzes, reicht als Antwort nicht aus. Gerade die NSA-Affäre, die der FDP Gelegenheit zu klarer Positionierung bot, hat Merkel per Ukas für beendet erklären lassen, auf dass sie die Wahlkampfruhe nicht länger störe. Der Kanzlerin ist es virtuos gelungen, durch schlichte Verweigerung der Auseinandersetzung Vorwahl-Deutschland einzulullen, mit ein paar unters Volk gestreuten Bröseln Privatheit als frühem Höhepunkt ihrer Nichtkampagne, die nur eine Frage offenlässt: Wozu es neben ihr mit Joachim Gauck noch einen zweiten Bundespräsidenten braucht.


Freilich: Eine Kanzlerin, die schon acht Jahre regiert, tut sich schwer mit harten Ansagen, würde dann doch unweigerlich die Frage kommen, warum sie das nicht schon umgesetzt habe. Merkel regiert aber auch gar nicht strategisch (jenseits der Strategie reinen Machterhalts), sondern taktisch, frühstückt flexibel Themen der Gegner ab (Wehrpflicht, Energiewende, Mindestlohn). Seehofer brachte dieses Prinzip zur Perfektion, und so herrscht in Bayern künftig formal zwar nur eine Partei, implizit aber eine ganz große Koalition, die jegliche Opposition zur Folklore degradiert. Und Steinbrücks Sager im TV-Duell, dass die Kanzlerin zwar allerhand schöne Schachteln ins Schaufenster stelle, aber nichts drin sei, traf genau nicht: Es ist vielmehr alles Mögliche drin, mal etwas Grünes, mal etwas Rotes, mal etwas Gelbes, und, ja, auch mal etwas Schwarzes. Entlarvend die Antwort der Kanzlerin, dass beim Wahl-o-Mat bei ihr „gut CDU rauskommen kann“.

Warum Merkel so unangefochten dasteht? Weil sie die Königin des Pragmatismus ist. Und der war noch immer die wichtigste politische Kategorie.

E-Mails an: helmar.dumbs@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2013)

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