Leitartikel: Irgendjemand wird regieren müssen

Rot-Schwarz, ÖVP-FPÖ-Stronach oder eine Minderheitsregierung: Eine dieser Varianten wird es werden. Wir sollten sie uns langsam schönzureden beginnen.

Treten wir einen Schritt zurück. Hinter die Linien der Parteisekretariate. Und der sie begleitenden Gefechtsschreiber. Was sehen wir dann? Jenseits der Rauchschwaden? Im Moment eigentlich nur Rot-Schwarz.

Da kann die SPÖ noch so viel auf parlamentarischer Ebene mit den anderen Parteien sondieren. Viel mehr als ein Ablenkungsmanöver – vom eigenen schlechten Wahlergebnis, vom Mangel an wirklichen Optionen – ist es nicht. Da können sich noch so viele ÖVP-Funktionäre hinter den Kulissen – vor den Vorhang traut sich noch kaum jemand – für Schwarz-Blau-Stronach starkmachen. Wieso sollten die Freiheitlichen das tun? Damit sie nach der nächsten Wahl wieder bei zehn Prozent liegen? Alles schon erlebt.

Die Strache-FPÖ ist die Antithese zu einer freiheitlichen Regierungsbeteiligung schlechthin. Sie existiert genau aus diesem Grund. In ihr haben sich all jene Freiheitlichen zusammengefunden, die nach der „Wende“ gegen eine Zusammenarbeit von ÖVP und FPÖ opponiert haben.

Und dass die Strache-FPÖ wiederum der Faymann-SPÖ schöne Augen macht, wie am Wahlabend geschehen, fällt ebenso unter die Kategorie Schmähpartie.

Es ist die Zeit des Tarnens und Täuschens. Vieles von dem, was nun gesagt wird, ist das Papier nicht wert, auf das es gedruckt wird. So wird das in den nächsten Tagen und Wochen weitergehen. Und am Ende wird wieder Rot-Schwarz stehen.

Aber wird das wirklich so sein? Was sich nämlich nicht einkalkulieren lässt, ist die unberechenbare Dynamik, die länger andauernde Verhandlungen mit sich bringen können. Denn nach der unernsten Phase der Scheinangebote und Showverhandlungen kann es sehr wohl zu unerwarteten Weggabelungen kommen, die neue Möglichkeiten eröffnen.

Wie bei besagter „Wende“ 1999/2000. Deren Entstehungsgeschichte ist zwar historisch weiterhin umstritten – je nach dem, in welchem Lager man steht. Aber es spricht schon auch viel für Wolfgang Schüssels Version, dass er zunächst tatsächlich eine Neuauflage von Rot-Schwarz im Auge hatte und erst recht spät die Abzweigung zu Schwarz-Blau nahm. Wegen inhaltlicher, aber auch zwischenmenschlicher Dissonanzen. Das Verhältnis zwischen den Verhandlungsführern Wolfgang Schüssel und Viktor Klima wurde noch schlechter, als es zuvor ohnehin schon gewesen war.

Auch Werner Faymann und Michael Spindelegger sollen sich schon einmal besser verstanden haben. Das Du-Wort in den TV-Debatten camouflierte die Verwerfungen der letzten Monate, insbesondere der Wahlkampfzeit, nur unzureichend. Es wäre keinesfalls erstaunlich, würde eine Neuauflage von Rot-Schwarz auch an solchen persönlichen Animositäten scheitern.

Die Betroffenheit darüber würde sich diesmal allerdings in Grenzen halten, die Proteste wohl auch. Selbst bei Schwarz-Blau-Stronach. Demokratisch legitimiert wäre diese Variante selbstredend, schließlich hat sie eine Mehrheit.

Auch inhaltlich könnte man sich vielleicht noch irgendwie zusammenraufen – zumindest für ein Regierungsprogramm, in der Realität danach würde es wohl schwierig. Vor allem aber personell wäre so eine Koalition ein großes Wagnis. Woher sollen Freiheitliche wie Stronachianer halbwegs ernst zu nehmendes Personal nehmen?

Bliebe also noch eine Minderheitsregierung. Von wem, mit wem auch immer. Der Nachteil liegt auf der Hand: Sie wäre, weil auf Tolerierung angewiesen, nicht von langer Dauer.

Die Auswahl ist somit bescheiden: Pest, Cholera oder Große Koalition. Nicht wenige würden erstgenannte Varianten der letztgenannten vorziehen. Und man kann es ihnen schwer verdenken.

Es ist die alte Frage von Freiheit und Sicherheit: Lieber mehr Risiko – also Schwarz-Blau-Stronach oder eine Minderheitsregierung, realistisch betrachtet, von der SPÖ geführt – und damit zumindest eine Chance auf einen Aufbruch aus einem erstarrten System? Oder more of the same, bei dem man weiß, was man hat? Keine leichte Entscheidung. Wir werden sie uns auf jeden Fall schönreden müssen.

E-Mails an:oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2013)

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