Lampedusa: Die Grenzen öffnen? Unbedingt, aber in den Köpfen aller

Das Europaparlament beschloss am Donnerstag schärfere Grenzkontrollen. Damit allein ist noch lang kein Flüchtlingsproblem gelöst.

Unmenschlichkeit, Zynismus, Schande: Religionsvertreter, Politiker und NGOler haben recht – von Franziskus abwärts: Mehr als 300 Menschen sind auf dem Weg in die Europäische Union ertrunken. Babys, Kinder, (werdende) Mütter ... Bilder, die uns erreichen oder die wir angesichts der Meldungen imaginieren, sind schwer zu ertragen. Am Donnerstag hat das Europaparlament nun auf diesen Höhepunkt einer ganzen Reihe ähnlicher Vorfälle reagiert. In einer Weise, die wieder Kritik provoziert: Die Überwachung der EU-Außengrenze wird verschärft.

Über die Opfer im Meer vor Lampedusa herrscht Klarheit. Sie sind geflohen – weil sie aus politischen, religiösen Gründen oder im Zuge von (Bürger-)Kriegen bedroht, schikaniert, verfolgt, diskriminiert wurden oder weil sie „nur“ angesichts von Verschwendung, Vetternwirtschaft, Korruption wirtschaftlich keine Zukunft in der Heimat gesehen haben. Wer aber sind die Täter? An wen richten sich die Vorwürfe der Unmenschlichkeit etc.? Da beginnt die Sache unversehens schwierig zu werden.

Sind tatsächlich Politiker der Nationalstaaten oder der EU die Täter, die aus Bösartigkeit, Hartherzigkeit, Ignoranz oder Stupidität handeln? Oder sind es nicht doch jene, die für viel Geld Menschen einen Transport in die gelobte EU versprechen? Und was ist mit der Verantwortung all jener, die Menschen zur Flucht provozieren oder gar zwingen?

Natürlich ist Europa global gesehen eine Wohlstandsinsel. Und natürlich ist Europa auch so etwas wie eine Wohlstandsfestung. Wie bitte würde ein Gegenentwurf aussehen, der von den Europäern mitgetragen werden würde? Dass die EU alle Grenzen für alle öffnet, die hier ihr Glück versuchen wollen? Die Flüchtlingspolitik benötigt offene Grenzen. Aber offene Grenzen in den Köpfen aller – auch derer, die die Politik nicht immer frei von Selbstgerechtigkeit an den Pranger stellen. Denn es muss – Hilfsorganisationen wie Caritas und Diakonie wissen das natürlich – an vielen Rädern gedreht werden. Auch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ist trotz eines jüngst missglückten TV-Auftritts das Wissen zuzutrauen, dass durch Entwicklungshilfe, die sich neu etikettiert Entwicklungszusammenarbeit nennt, allein kein Auslangen zu finden sein wird. Noch dazu, wenn diese wie im Fall Österreichs bei mickrigen nicht einmal 0,3Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit im untersten Viertel aller EU-Mitglieder liegt.

Zunächst ist es tatsächlich hilfreich, die Kontrolle an den Außengrenzen zu verstärken. Warum eigentlich nicht auch mit Drohnen, was derzeit als verpönt gilt? Flüchtlinge müssen, wie aktuell im Fall der Syrer, rascher auf alle EU-Staaten verteilt werden können. Dass Österreich von der EU gelobt wurde, soll nicht unerwähnt bleiben. Asylverfahren müssen beschleunigt werden, Asylwerber müssen einer Erwerbstätigkeit nachgehen dürfen, Unterkünfte Mindeststandards erfüllen.

Und, vielleicht sogar vor alledem: Der Umgang mit jenen Ländern, aus denen Flüchtlinge kommen, ist neu zu gestalten. Nicht jeder Potentat muss von demokratischen Regierungen empfangen, nicht jedes Land besucht werden. Es sollen auch schon Kontakte mit Oppositionellen totalitärer Regime geknüpft, Vermögen eingefroren und Konten gesperrt worden sein. Dafür wäre eine Außenpolitik der EU Voraussetzung (Österreich überhaupt zu erwähnen verbieten die einschlägigen Erfahrungen der jüngeren Geschichte), die auf Befriedung von Konflikten, das Durchsetzen der Menschenrechte und das Vorantreiben demokratischer Entwicklungen abzielt.

Bei alledem darf sich Politik nicht nur an Zurufen orientieren, an einmal in diese, dann womöglich in eine andere Richtung schwappenden Emotionen. Zugespitzt formuliert: Es bedarf – so unbarmherzig sich das vielleicht liest – gerade um menschengerechter Lösungen willen beim Politikmachen mehr Hirns als Herzens. Das heißt nicht, dass Appelle von Franziskus & Co. ungehört bleiben sollen. Nur: Es hat seinen Grund, weshalb nicht der Papst Gesetze schreibt. Und, nebenbei bemerkt, dort, wo die katholische Kirche das für den internen Gebrauch doch tut, agiert sie auch nicht immer unumstritten. Aber das ist jetzt wirklich eine ganz andere Geschichte.

E-Mails an:dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2013)

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