Europa sollte seine Grenzen öffnen - für Afrikas Waren

Die tägliche Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer wird nur enden, wenn die Menschen in Afrika wieder mehr wirtschaftliche Perspektiven haben.

Es wird kaum jemanden zwischen Lissabon und Helsinki geben, den die Bilder kaltlassen, die in den vergangenen Wochen wieder vermehrt auf den Fernsehschirmen zu sehen waren. Bilder von hungrigen Menschen, die es nach ihrer gefährlichen Reise auf überfüllten und klapprigen Kähnen über das Mittelmeer in das erhoffte Paradies Europa geschafft haben und dort in überfüllten Lagern oder auf den Straßen von Großstädten enden. Bilder von Särgen, darunter auch viele kleine mit deplatziert wirkenden Teddybären darauf, in denen jene liegen, die die Reise nicht geschafft haben.

Was soll Europa tun, um diese Situation zu ändern? Viele schlagen vor, man soll die armen Seelen doch einfach „hereinlassen“. Das reiche Europa könne sich das schon leisten. Und dann müsste der Weg auf den von Schleppern überfüllten Booten nicht mehr genommen werden.

Dieser Gedanke mag zwar humanitär im tiefsten Sinn des Wortes sein. Er ist aber auch reichlich naiv. Denn selbst, wenn es unter den Flüchtlingen auch viele Menschen gibt, die aus politischen Gründen den Weg nach Norden antreten, für das Gros dürfte die Suche nach einem besseren – wirtschaftlichen – Leben das bestimmende Motiv sein. Ein nachvollziehbarer Wunsch, den ihnen jene, die die Gnade der Geburt innerhalb dieser Wohlstandsfestung hatten, nicht übel nehmen und mit Hass quittieren sollten. Aber auch ein Wunsch, der einfach nicht erfüllbar ist.


So verfügen jene, die illegal über das Meer in die EU kommen wollen, meist nicht über die Fähigkeiten, die auf Europas Arbeitsmarkt benötigt werden. Eine Situation, die sich seit dem Ausbruch der Krise und der steigenden Arbeitslosigkeit in den südlichen EU-Ländern noch deutlich verschärft hat. Diesen Menschen durch eine erlaubte Einreise Hoffnungen zu machen, die schlussendlich nicht erfüllt werden können, wäre ein perfides Spiel im Namen der Menschlichkeit.

Europa sollte vielmehr danach trachten, dass die Menschen in ihren afrikanischen Heimatländern selbst wieder mehr Perspektiven für ein besseres Leben haben. Viele der dortigen Probleme wie ethnische Spannungen oder Korruption können die jeweiligen Gesellschaften zwar nur selbst lösen – Europa kann hier lediglich beratend tätig sein. Helfen könnte die EU Afrika jedoch mit einer anderen Maßnahme: der wirklichen Öffnung von Europas Märkten für afrikanische Produkte und dem Abbau wettbewerbsverzerrender Subventionen.

Denn alle Experten sind sich einig, dass Afrikas Wirtschaft nur über die effiziente Nutzung der reichlich vorhandenen natürlichen Ressourcen in Schwung kommen kann. Und dies ist neben Mineralien und Erdöl vor allem die Landwirtschaft, die bisher ihr Potenzial bei Weitem nicht ausschöpft. So hat Afrika 24 Prozent der gesamten globalen Agrarnutzfläche, trägt aber nur neun Prozent zur globalen Produktion bei. Im Gegenteil: Viele fruchtbare Länder müssen sogar Nahrung importieren.


Um dies zu ändern, brauchte es einerseits eine deutliche Produktivitätssteigerung von Afrikas Bauern durch Maschinen und besseres Know-how (wie wäre es mit der Forcierung von Boku-Stipendien für Afrikaner?). Zudem würde Afrika auch einen lukrativen Absatzmarkt brauchen, damit das Ganze zu einer Erfolgsgeschichte werden kann.

Nun war die EU in den vergangenen Jahren zwar nicht vollkommen untätig und hat etwa die unsäglichen Exportsubventionen abgeschafft, mit denen über Jahrzehnte lokale Agrarsysteme in Afrika zerstört wurden. Auch die Zollschranken für afrikanische Produkte wurden sukzessive gesenkt. Aber noch immer gibt es keinen fairen Wettbewerb auf dem Agrarsektor. So sorgt die massive Förderung und die damit verbundene Überschussproduktion in der EU dafür, dass etwa europäisches Milchpulver in vielen Ländern unseres Nachbarkontinents den Milchbauern das Leben schwer macht.

So lange es die EU Afrika also unmöglich macht, im Bereich der Landwirtschaft seine komparativen Vorteile auszuspielen, so lange dürfte Afrikas Wirtschaft auch schwach bleiben. Zu schwach, um den Menschen genügend Perspektiven für ein Dableiben zu geben.

E-Mails an:jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2013)

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