Wer zu weit vorausgeht, läuft Gefahr, falsch abzuzweigen

Japan will seine Klimaziele weitgehend über Bord werfen. Europa sollte sich daher überlegen, ob das eigene Tempo beim Klimaschutz nicht zu hoch ist.

Berlin, London, Warschau. In diesen drei europäischen Städten fanden in der vergangenen Woche drei Ereignisse statt, die auf den ersten Blick kaum etwas miteinander zu tun haben. In Kombination zeigen diese drei Ereignisse jedoch das aktuelle Dilemma von Europas Klimapolitik – und warum es dringend notwendig wäre, einiges daran zu ändern.

In Berlin einigte sich am Montag die – wahrscheinlich – neue deutsche Regierung auf ihre künftige Energiepolitik. Sie beschloss dabei zwar eine sanfte Zügelung der in den vergangenen Jahren explodierten Ökostromsubventionen und reduzierte die Ausbauziele. Dennoch bleibt Deutschland auch weiterhin Vorreiter in Sachen Energiewende. Wenn es nach der SPD geht, sollen bereits 2030 drei Viertel des deutschen Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen. Deutsche Haushalte und auch die deutsche Wirtschaft werden also auch in Zukunft bei ihren Stromrechnungen mehr für die Ökostromförderung zahlen als für den Marktwert des gekauften Stroms.

In London stellte am Dienstag die Internationale Energieagentur ihren aktuellen „World Economic Outlook“ vor. In diesem Standardwerk der Energiebranche finden sich ein paar sehr interessante Zahlen. Die erste lautet: 30 Prozent. Um diesen Wert werde nämlich der Exportanteil Europas bei energieintensiven Produkten auf dem Weltmarkt in den kommenden 20 Jahren zurückgehen. Der Grund: Energie ist in Europa einfach zu teuer. So kostet Gas zur Zeit rund dreimal so viel wie in den USA. Und auch im Jahr 2035 wird es immer noch das Doppelte sein.


In Warschau ließ wiederum Japan beim aktuellen Klimagipfel eine wahre Bombe platzen: Das Land werde seine einst festgelegten Klimaziele revidieren. Statt den CO2-Ausstoß bis 2020 gegenüber 1990 um ein Viertel zu senken, werde er um drei Prozent steigen. Der teilweise Atomausstieg infolge der Katastrophe von Fukushima mache dies notwendig.

Welche Schlüsse lassen sich nun aus diesen drei Ereignissen ziehen? Zuerst einmal: Europa laufen die Verbündeten im Kampf um eine verpflichtende CO2-Reduktion davon. Japan war eines der wenigen wichtigen Industrieländer, das sich neben der EU ebenfalls auf konkrete Zielvorgaben eingelassen hatte. Die USA waren von Anfang an gegen konkrete Ziele. Gleiches gilt auch für die energiehungrigen Schwellenländer wie China oder Indien.

Dadurch läuft Europa Gefahr, sich neben hohen Lohnkosten eine zweite Wettbewerbsbremse aufzuhalsen. Denn Energiekosten werden ein immer wichtigerer Kostenfaktor. Lagen sie in Österreich noch vor einigen Jahren bei gerade einmal fünf Prozent der gesamten Kostenbelastung eines Unternehmens, ist dieser Wert laut Wirtschaftsministerium inzwischen auf gut zehn Prozent gestiegen. Tendenz weiter steigend.

Die besten Voraussetzungen in dieser Frage haben – dank Schiefergas – die USA. Europas Klimaschutzmaßnahmen verschärfen diese Situation jedoch noch weiter. Schlussendlich zeigt sich folgendes Wettbewerbsbild der globalen Regionen: Die USA haben günstige Energie, Asien günstige Lohnkosten. Nur Europa steht mit leeren Händen da.


Bedeutet dies nun, dass Europa sämtliche Klimaschutzmaßnahmen vergessen sollte? Mitnichten. Die Indizien für anthropogene Gründe für die globale Erwärmung sind zu eindeutig, als dass man sie einfach ignorieren könnte. Dies geschieht ja auch in Washington und Peking nicht. Und es lässt sich auch argumentieren, dass Europa bei diesem Thema globaler Vorreiter sein sollte. Es hat aber absolut keinen Sinn, die Wettbewerbsfähigkeit Europas – und somit die Arbeitsplätze der Europäer und die damit verbundene Steuerleistung für die Staaten – über Gebühr zu schmälern. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Energieverbrauch Chinas laut IEA 2035 höher als jener der USA und Europas zusammen sein wird.

Die Frage lautet also: Wie viel schneller als die anderen sollen wir gehen? Derzeit sieht alles danach aus, dass es zu schnell ist. Und wer zu weit vorausgeht, läuft Gefahr, eine falsche Abzweigung zu nehmen.

E-Mails an:jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2013)

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