Der Rechtsstaat ist für alle da, für Bedürftige und Privilegierte

Es ist richtig, Pensionen zu begrenzen. Wenn man das aber wie geplant macht, zeugt das nur einmal mehr von mangelndem Respekt vor der Verfassung.

Ganz schön ausgefuchst, diese Regierung: Sie duelliert sich mit den unpopulären Lehrergewerkschaftern, kündigt ein Gesetz gegen Pensionsprivilegien an – und schon ist dieses lästige Budgetloch aus den Schlagzeilen. Per Verfassungsgesetz will man also geltende Pensionen beschneiden. Anders geht es schwerer, zumal sich Betroffene sonst auf den Vertrauensgrundsatz berufen und klagen könnten.

Nur Populismus ist die angekündigte Maßnahme aber auch nicht. Denn tatsächlich sind Pensionen wie etwa die 32.000 Euro monatlich für einen Ex-Nationalbank-Präsidenten moralisch schwer zu rechtfertigen. Vor allem, wenn das ganze Land sparen muss. Aber ist die Verfassung der richtige Ort, um Pensionskürzungen vorzunehmen?

Eigentlich ist eine Verfassung dazu da, das Fundament für einen Staat zu legen. Also, um festzuhalten, welche Staatsform man hat, welche Grundrechte die Bürger genießen und wie Gesetze entstehen. Die Gesetze selbst, die den Alltag der Bürger regeln, sollten dann mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. So viel zur Theorie, von der man hierzulande wenig hält.

Das Problem begann schon kurz nach Gründung der Republik, als sich die Parteien nicht darauf verständigen konnten, ein zentrales Verfassungsdokument zu erstellen. Man beschloss zwar das Bundes-Verfassungsgesetz von 1920. Da man sich aber über die Grundrechte nicht einig wurde, klammerte man diese aus und behielt trotz Republik das „Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder“ aus 1867. Es gilt bis heute.

Dazu kamen im Laufe der Zeit noch viele Einzelgesetze, die in Verfassungsrang gehoben wurden. Legendär war etwa die Beschränkung der Wiener Taxilizenzen, die lange im Verfassungsrang stand, um das Grundrecht auf Gewerbefreiheit zu umgehen. Vor allem in Zeiten, als Rot-Schwarz die Zweidrittelmehrheit hatte, wurde auf die Verfassung gepfiffen. War ein Gesetz illegal, beschloss man es einfach im Verfassungsrang. Sache erledigt.

Inzwischen muss die rot-schwarze Koalition froh sein, wenn sie bei Wahlen eine einfache Mehrheit bekommt. Geblieben ist aber die Mentalität, dass man einfach alles in den Verfassungsrang hebt, was sonst rechtswidrig wäre. Nur, dass man nun die Mithilfe der Opposition benötigt. Es wird sich aber sicher jemand finden lassen, der gegen die „Privilegienritter da oben“ mitstimmt.

Zurück zur Ausgangsfrage: Ist es nun in Ordnung, wenn man Pensionen per Verfassungsgesetz begrenzt? Wenn man sich die österreichische Geschichte anschaut, muss man sagen: Aber klar doch, warum denn nicht? So ist das hierzulande halt üblich. Nimmt man freilich die Grundidee einer Verfassung ernst, muss man zu dem Schluss kommen, dass eine Kürzung von Pensionen nichts in der Verfassung verloren hat. Dass es zu solchen Pensionen kommen konnte, ist ein Versagen der bisherigen Politik. Und das kann man nicht einfach wegwischen, indem man jetzt schnell die Verfassung ändert, ein paar Leuten etwas wegnimmt und so das Volk besänftigt. Aber in einem Land, in dem schon Verfassungsgerichtshofsurteile umgangen wurden, indem man lachend ein paar Ortstafeln verschiebt, ist das wohl schwer vermittelbar.

Wie könnte eine Lösung aussehen? Auch mit einfachem Gesetz kann man Pensionen kürzen, wenn auch nicht so wild. Man muss halt den Vertrauensgrundsatz einhalten. Dieser gilt im Rechtsstaat aber für alle Bürger, für arme Bedürftige und auch für Privilegierte. Den Umgang mit der Verfassung selbst könnte man verbessern, indem man endlich ein einheitliches Verfassungsdokument schafft, wie es in anderen Ländern wie etwa Deutschland längst üblich ist. Wenn man nur in diesem zentralen Dokument Verfassungsänderungen festhalten dürfte, wäre die Hemmschwelle, dort etwas nicht Staatstragendes hineinzuschreiben, wohl größer.

Die Sanierung des Parlaments dürfte sich aus Kostengründen verschieben. Eine komplett sanierte Verfassung könnte man gratis haben. Wenn die Politik es will. Mit der Renovierung des Parlaments dürfte man also eher fertig sein.

E-Mails an:philipp.aichinger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2013)

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