Krise: Auf den ersten Blick ist alles wieder gut

Die Schuldenkrise scheint überwunden, die Bankenkrise bereinigt, doch die wirtschaftliche und die politische Kluft in der EU wird größer.

Wenn das Schlimmste prognostiziert wird, der Untergang, ist das Weiterleben schon ein Erfolg. Doch das Dasein nach dieser Finanz- und Schuldenkrise wird kein gereinigtes sein. Es sind politische Entscheidungen gefallen, die zweifellos notwendig waren – wie einst die Fiskal- und nun die Bankenunion. Aber es sind neue Probleme hinzugekommen, die entstanden sind, weil diese Krise nicht nur logisch und gerecht, sondern oft auf Grundlage von ganz besonderen Interessenlagen behandelt wurde.

Nein, es kam nicht so, wie manche Euro-Skeptiker wortreich angekündigt hatten. Die Hyperinflation hat nicht die Schulden getilgt, die Währungsunion ist nicht zerbrochen, Griechenland musste nicht aus dem Euro austreten. Irland hat am vergangenen Wochenende als erstes Krisenland den Euro-Rettungsschirm wieder verlassen. Spanien will demnächst folgen. Zypern hat gute Aussichten, sein Problem in absehbarer Zeit in den Griff zu bekommen. Die Erleichterung über das nahe Ende der Schuldenkrise ist so groß, dass sogar schon Griechenland davon träumt, die Finanzkontrolleure der Troika heimzuschicken.

Auf den ersten Blick scheint alles wieder gut. Mit der Bankenunion entsteht dieser Tage ein wichtiges Instrument, das ein Übergreifen von Problemen im Finanzsektor auf Staatshaushalte in Zukunft verhindern soll. Künftig können marode Geldinstitute einigermaßen vernünftig abgewickelt werden. Doch es spießte sich zuletzt – und das ist symptomatisch – noch bei der Entscheidungsfindung. Wer soll letztlich darüber entscheiden? Dürfen einzelne EU-Regierungen bei der Abwicklung nationaler Finanzinstitute übergangen werden?

Die EU hat in dieser Krise ihr ureigenstes Problem nicht überwunden, sondern vergrößert. Die nationale Macht- und Interessenpolitik dominiert stärker denn je. Gleich, ob der Binnenmarkt oder der Euro nach Entscheidungen im Sinn gemeinsamer Interessen verlangen, die Mitgliedstaaten setzen auf individuellen politischen Einfluss und wollen diesen sogar ausbauen. Die gemeinsame Wirtschaftspolitik zeigte schon im Ansatz ihre Grenzen auf. Sobald Frankreich wegen seines Pensionssystems, Deutschland wegen seiner mangelnden Inlandsinvestitionen von der EU-Kommission gerügt wurde, stand der Vorwurf der Einmischung im Raum.

Großbritannien schreckt nicht davor zurück, sogar einen Grundsatz des Binnenmarkts infrage zu stellen. In der Welle der Renationalisierung will es die Freizügigkeit von Arbeitskräften aus anderen EU-Mitgliedstaaten einschränken. Der freie Markt, den es für Waren gibt, soll nicht für Menschen gelten. Auch das ist symptomatisch. Deutschland träumt von der Maut für EU-Ausländer, die Niederlande von verschlossenen Grenzen für Bürger aus Rumänen und Bulgaren.

So wie die Regierungen in der EU die Spaltung vorleben, so folgen nun auch die Bürger der Polarisierung. Sie suchen nach Schuldigen und glauben sie im EU-Ausland, aber auch bei den etablierten Parteien im Inland zu finden.

Warum sind diese politischen und gesellschaftlichen Spannungen aufgebrochen? Eine Antwort ist, dass diese Krise rasch bereinigt werden musste, um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern. Fairness und eventuelle Kollateralschäden wurden mangels Zeit und Sensibilität nicht berücksichtigt. Die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen wirtschaftlich erfolgreich und arbeitslos ist in der Folge größer geworden. Maßnahmen wurden weder erklärt noch ehrlich tituliert. Kaum jemand sprach aus, dass die Solidarität mit Griechenland, Spanien oder Irland keine mit den Bürgern dieser Länder war, sondern eine mit den Banken.

Die Befindlichkeiten der Menschen, die letztlich die Last tragen mussten, wurden nicht berücksichtigt. Sie haben den Eindruck gewonnen, dass sie von der EU und ihrer eigenen Regierung nicht ernst genommen werden, und wandern deshalb in Scharen zu links- und rechtsradikalen Gruppen ab. Sie hoffen, dort nicht ausgenutzt zu werden. Aber das geschieht schon längst.

E-Mails an:wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2013)

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