Konjunktur: Der Tanz auf dem chinesischen Vulkan

Die Situation in China ähnelt beunruhigend jener in den USA und Europa vor Ausbruch der Finanzkrise 2008. Geschönte Wachstumsdaten verdecken das.

Chinas Wirtschaft sei heuer „nur“ um 7,6 Prozent gewachsen, sagt die Regierung in Peking. Das geringste Wachstum seit 1999, aber noch kein Grund zur Beunruhigung. Denn mit einem Plus von gut siebeneinhalb Prozent zieht die unterdessen zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt die globale Konjunktur noch immer komfortabel an, nicht wahr?

Chinas Wirtschaft habe lediglich „die Vorgaben der Regierung erfüllt“ beziehungsweise die Statistiken darauf hingetrimmt, sagen internationale Analysten. Das klingt entschieden weniger euphorisch – und ist auch so gemeint. Denn es gibt nur noch wenige ernst zu nehmende Ökonomen, die glauben, dass das, was Peking berichtet, auch nur annähernd so etwas wie Realität widerspiegeln könnte.

Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist überall auf der Welt ein wenig zur Voodoo-Wissenschaft verkommen, auch hierzulande (von den USA ganz zu schweigen) wird reales BIP-Wachstum zum nicht unwesentlichen Teil nicht mehr in den Unternehmen, sondern in Statistikämtern und volkswirtschaftlichen Notenbankabteilungen „generiert“.

Chinesische BIP-Daten hätten aber überhaupt „keinerlei Relevanz“, sagen Finanzanalysten. Sie behelfen sich mit eigenen Berechnungen anhand von Faktoren wie Transport- und Kreditvolumina. Und kommen zu dem Ergebnis, dass das „echte“ chinesische BIP seit Jahren um ein paar Prozentpunkte langsamer wächst, als Peking vorgibt. Und dass es im letzten Quartal dieses Jahres möglicherweise sogar zu realer Stagnation gekommen ist.

Das könnte uns eigentlich egal sein. Denn der chinesische Aufschwung hat Westeuropa und die USA zweifellos vor einem noch größeren konjunkturellen Absturz bewahrt. Da zählt der Effekt, und nicht die zahlenfuchserische Frage, ob dieser Effekt mit gefakten zehn oder echten fünf Prozent Wachstum erzielt wurde. Aber langsam wird es nun haarig: Die Zahlentricksereien in Peking, die nicht einmal mehr von den dortigen Statistikern geleugnet werden, verstellen nämlich den Blick auf die wahren Probleme, die sich in dem Riesenland aufbauen. Beispielsweise eine gewaltige Immobilienblase, die durchaus das Zeug hat, nach dem Muster USA 2008 einen Bankencrash auszulösen, der die gesamte Weltwirtschaft gleich wieder vom gerade erst erreichten, ohnehin sehr verhaltenen Wachstumspfad stürzt.

Das hat auch direkt mit der BIP-Trickserei zu tun: Der verzweifelte Versuch der Provinzen, die hohen BIP-Vorgaben der Zentralregierung zu erfüllen, hat beispielsweise den Bau zahlreicher Geisterstädte für jeweils mehrere hunderttausend Einwohner begünstigt. Diese Geisterstädte wurden mit staatlichen Krediten errichtet, die Wohnungen und Büros wurden, weil Immobilienspekulation in China ja äußerst lukrativ war, mithilfe von Bankkrediten weiterverkauft – und stehen jetzt leer und unproduktiv herum.


Da schlummert eine gewaltige Bombe für das Bankensystem. Dass die Gefahr sehr real ist, zeigt der „Stress“, unter dem das System derzeit steht: Ein Teil des chinesischen Bankensystems ist de facto insolvent, die Zinssätze, die die Banken bei Ausleihungen untereinander verrechnen, haben heuer schon bis zu 30Prozent erreicht und liegen jetzt bei zehn Prozent. Dass es noch nicht gekracht hat, liegt ausschließlich an massiven Interventionen der chinesischen Nationalbank, die Liquidität ohne Ende ins System schüttet.

Anders gesagt: Die Situation in China ähnelt beunruhigend jener, die wir 2008 in den USA und Europa gesehen haben. Die schiere Größe des chinesischen Finanzsystems (und die umfangreichen wirtschaftlichen Verflechtungen mit den Industriestaaten) macht das chinesische Problem aber zum globalen. Der Unterschied zu 2008 ist der, dass auch die Bankensysteme der USA und Europas noch nicht saniert sind und auf tönernen Füßen stehen. Die Weltwirtschaft gleicht derzeit also dem Tanz auf dem chinesischen Vulkan. Die zuletzt halbwegs freundlichen Prognosen werden nur eintreffen, wenn die befürchtete Eruption dort ausbleibt. Wetten sollte man darauf keine abschließen.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2013)

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