Werner Faymann, der letzte Bewahrer

So wie Michael Spindelegger die Schuldebatte nicht loswird, wird Werner Faymann einer Frage nicht entkommen: Was will er, außer bloß Kanzler sein?

Es gibt zwei Lieblingsbeschäftigungen von Politikjournalisten: in der ÖVP eine Obmanndebatte und in der SPÖ einen programmatischen Richtungsstreit zu (er-)finden. Die Ersten, die diese Kommunikationsprobleme, die nicht selten zu realen Obmanndebatten und echten programmatischen Richtungstreits geführt haben, in den Griff bekommen haben, heißen Michael Spindelegger und Werner Faymann. Der eine hat die Obmannschaft, der andere das Programmatische abgeschafft.

Der Vizekanzler hat erkannt und verstanden, dass Landeshauptleute und -parteien ohnehin machen, was sie wollen, und dass es daher sinnvoller ist, sich in der Wagenburg in der Himmelpfortgasse still mit Finanzpolitik zu beschäftigen, als Diskussionen über Bildungspolitik zu führen, die in Vorarlberg ohnehin schon immer anders als etwa in Wien war. Die Frage, ob sich die Osttiroler ÖVP nun von der „Westachse“ abspaltet und ein CSU-Modell mit Lederhose, aber ohne Laptop wagt, begeistert Medien ohnehin genauso sehr. In der Partei sieht man das ähnlich, daher gibt es auch keinen, der Spindelegger den Posten an der Nichtspitze streitig machen würde.


In der Sozialdemokratie liegt der Fall ähnlich und doch anders: Konkurrenz in Form eines Herausforderers muss Faymann ebenfalls nicht fürchten. Eine Debatte um die künftige inhaltliche Ausrichtung wird Faymann spätestens dann einholen, wenn das erfüllt ist, was er sich kalendarisch vorgenommen hat: als Kanzler das Ende der Wirtschaftskrise verkünden zu können. An den Spätfolgen – also den Reparationszahlungen für die Kosten der Krisenbekämpfung – zahlen zwar noch Generationen, aber das sind Fußnoten. Am Ende der sieben mageren Jahre – 2015 – wird der Bundeskanzler die große Entwarnung geben, von Steuerreform und besseren Zeiten sprechen. Genau dann wird ihn die Frage einholen: Wie sollen sie eigentlich aussehen, für wen genau sollen sie anbrechen? Darauf brauchte er heute eine Antwort. Hat er aber nicht. Und da ein Chef so gut (und schlecht) ist wie seine Mitarbeiter: Die Partei weiß auch nicht mehr.

„Schützen“, lautet Faymanns zentrale Antwort auf die Frage, was er politisch erreichen wolle. Er möchte die Menschen „schützen“: vor der Krise, der Sparpolitik, der großen bösen Welt.

Die Defensivposition bestimmte tatsächlich die Politik vieler europäischer Staatskanzleien der vergangenen Jahre. Bei Werner Faymann geht das allerdings einen Schritt weiter: Für ihn ist die Verteidigung des alten politischen Systems das wichtigste Ziel. Egal, ob es sich um den Fortbestand der Großen Koalition – die Alternative wäre eine Minderheitsregierung gewesen, wie es sie beispielsweise in nordischen Demokratien gibt – oder die Erhaltung des brüchig gewordenen Sozialnetzes oder des Pensionssystems handelt. Faymann graut vor Veränderung, will bewahren und renovieren.

Das Wiener Modell einer SPÖ, die als Partei die Bürger von der Grippe bis zur Geburt hegt und pflegt, hat Faymann geprägt. Er wird es auch noch verteidigen, wenn es kaum mehr jemand sinnvoll nützt. Konrad Paul Liessmann, Philosoph und neutraler Zeitzeuge, wird heute in Hainfeld mild kritische Worte zur Ideenlosigkeit der SPÖ zum 125er finden – ihn einzuladen zeugt übrigens von einer Sportlichkeit, die Norbert Darabos sonst selten zugeschrieben wird. In einem Interview mit dem Österreich-Fenster der „Zeit“ meinte Liessmann über die SPÖ: „Für mich ist es [...] verwunderlich, dass es der SPÖ nicht gelungen ist, auch jene Bevölkerungsgruppen anzusprechen, die durch ihre soziale Lage, die sich in den vergangenen Krisenjahren herausgebildet hat, eigentlich natürliche Adressaten sein müssten.“ Und er nennt unter anderen Scheinselbstständige und „die verunsicherte Mittelschicht“. Die Erklärung für diesen Befund ist nicht schwer zu finden: Die SPÖ kann diese Gruppen nicht ansprechen, weil sie ihnen nichts zu bieten hat. Die Genannten tragen und schultern– mit Besserverdienern – das Sozialsystem. Das Geld, sie zu entlasten, würde schnell bei der SPÖ-Klientel fehlen: aktuellen und künftigen Pensionisten. (Die ÖVP kennt das von Bauern und Beamten.)

Werner Faymann will die Menschen schützen. In Wahrheit schützt er nur die schrumpfende SPÖ. Bis zum Schluss.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2014)

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