Nicht Hollandes Fuß gehört abgehackt - der Schuh ist schuld

Was der "abtrünnige" Papst und der untreue Präsident gemeinsam haben: Beide haben ein archaisches Amtsverständnis dekonstruiert.

Was hat Joseph Ratzinger mit Hollande zu tun, was ein beim Fremdgehen ertappter Präsident mit einem freiwillig abdankenden Papst? Zum Beispiel, dass beide etwas getan haben, was mit ihrem Amt (offiziell) unvereinbar schien – und dass beide dem Amt damit gut getan haben.

Viele begrüßten Ratzingers Rücktritt als Korrektur des Papstbildes. Warum soll ein Papst nicht gehen, wenn er sich unfähig fühlt, zufriedenstellend zu amtieren? Lässt man (christliche) Moral beiseite, kann man ebenso vernünftig fragen: Warum soll ein Staatschef privat nicht tun, was er will? Weil, antworten nach einigen Anstandsminuten vom politischen Kleingeld angelockte Gegner, nun eine Première Dame im Élysée sitze, die keine sei. Und oh là là, das Ausland – die betrogene Partnerin stehe im Protokoll des nächsten US-Staatsbesuchs!


Stimmt, und diese „Peinlichkeiten“ wären eine wunderbare Gelegenheit, mit dem „König-Königin“-Spiel aufzuhören, das sich in Form absurder Rituale in die (nicht nur französische) Demokratie gerettet hat. In Deutschland haben Merkel und ihr Ehemann den Abschied davon gut bewerkstelligt, krasses Gegenteil sind die USA, wo das intakte bürgerliche Paar nach wie vor die öffentliche Ordnung bekrönt, als ob es die Clintons nie gegeben hätte.

Frankreich wiederum schlenkert seit Jahren zwischen idealistischer und Klatschspalteninszenierung. Sarkozy ließ sich als Präsident scheiden und fand mit Carla Bruni zu neuer repräsentativer Zweisamkeit. Dann brachte der geschiedene Hollande mit Valérie Trierweiler die erste Nichtehefrau in den Élysée-Palast. Doch trotz aller schon erfolgter Etikettenverrenkung meinen immer noch manche: Der Schuh passt nicht? Dann hacke sich Monsieur Président eben ein bisschen Fuß ab!

Hauptsache, der Kopf schaut intakt aus, „la tête de l'État“, „das Staatsoberhaupt“, „the head of state“ – lauter beharrliche Begriffsrelikte aus Zeiten, in denen es wirklich ein „caput regni“ gab, ein königliches oder kaiserliches Haupt. Als Anhängsel gab es einen Frauenkörper dazu, von dem es immerhin abhing, welcher Erbe das Land künftig regieren würde.

Was der König außerhalb des Ehebetts trieb, war aber nicht so wichtig. Ausgerechnet eine Mätresse, Madame de Pompadour, vererbte den jetzigen Präsidentensitz an Frankreichs Regenten. Der Name Élysée-Palast kommt von den nahen Champs-Élysées und verweist auf das antike Elysion, in das auserwählte verstorbene Held(inn)en kamen: u.a. die Ehebrecherin Helena und der einen Mann liebende Achilles. 1873 wurde der „Palast“ Sitz des Präsidenten und damit erst zum Hort inszenierter bürgerlicher Tugend inklusive deren Kern, der intakten Familie. Diese Ära ist aber nicht erst jetzt, sondern schon seit Sarkozy zu Ende.


Natürlich ist auch Treue ein politisches Thema, die eheliche etwa war immer willkommen, weil das Beharren in privaten Strukturen die gesellschaftlichen stützt. Trotzdem ist sie nicht automatisch positiv. Es gibt die fragwürdige Nibelungentreue, Treue kann Schlechtes zusammenhalten, nur damit es zusammenhält. Loyalität, ein Wort aus Frankreich, springe ein, „wenn Glaube, Liebe, Hoffnung vergangen sind“, formuliert es der Soziologe Wolfgang Sofsky. „Nichts ist ihr wert, dass es zugrundegeht.“

Wie schlecht Beharren sein kann, zeigt der Zusammenstoß zwischen archaischer Herrschaftsinszenierung und Realität im Fall Hollande. Zermalmt werden dabei drei Menschen. Vermeidbar wäre das nur, wenn Staatschefs als Einzelne behandelt würden, und ihre Beziehungen so (privilegienfrei und privat) wie die aller übrigen Bürger. Dann gäbe es keinen Vorwand mehr, Politiker und ihre Nächsten, wenn nicht zu Tode, so zumindest ins Krankenhaus zu hetzen.

Auch ein Diktum Milan Kunderas lässt sich übrigens auf Liebe wie Politik anwenden: „Die Treue gibt unserem Leben eine Einheit, ohne die es in tausend flüchtige Eindrücke zersplittert. Aber was ist Verrat? Verrat bedeutet, aus der Reihe zu tanzen und ins Unbekannte aufzubrechen.“ Nicht das Schlechteste für Politiker. Allerdings wissen die Franzosen, dass Liebe und Politik zweierlei sind und Hollande ein schlechter Präsident ist: freilich weder wegen noch trotz der Affäre.

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E-Mails:anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2014)

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