Bosnien und Herzegowina braucht eine neue Idee

(c) REUTERS (DADO RUVIC)
  • Drucken

Der gebeutelte südosteuropäische Staat hat fast 20 Jahre nach Kriegsende eine EU-Beitrittsperspektive nötiger denn je. Doch das allein wird nicht reichen.

Was die EU betrifft, macht man sich in Bosnien und Herzegowina keine großen Illusionen. „Wann werden wir der Union beitreten?“, lautet die Frage in einem gängigen Witz. „Wenn es in der Geschwindigkeit weitergeht, ist die EU schon wieder zerfallen, bevor wir so weit sind.“

Natürlich ist der Wunsch, Mitglied im Klub Europa zu werden, noch immer stark. Doch die Menschen im Land wissen auch, dass es immer schwieriger wird hineinzukommen. Einige der älteren Klubmitglieder würden am liebsten schon jetzt wegen Überfüllung den Eingang endgültig dichtmachen. Das Streben der Südosteuropäer, Teil der Union zu werden, diente der EU bisher als eine ihrer schärfsten Waffen. Ja, auch heute liegt in Kroatien noch einiges im Argen. Aber ohne Beitrittsprozess wären viele Reformen nicht umgesetzt und der Kampf gegen korrupte Politiker womöglich nicht so vehement geführt worden.

Erst auf Druck aus Europa hat man in Serbien noch einmal genauer nachgeschaut, ob sich der bosnisch-serbische General Ratko Mladić nicht vielleicht doch irgendwo im Land versteckt. Und tatsächlich, welch Wunder: Er wurde gefunden und an das Haager Tribunal ausgeliefert.

Die Liebe zur EU hat auch eine neue, ungewöhnliche „Männerfreundschaft“ gestiftet: Serbiens Premier Ivica Dačić, einst ruppiger Parteisprecher des serbischen Autokraten Slobodan Milošević, und der Premier des Kosovo, Hashim Thaçi, einst politischer Anführer der kosovo-albanischen Untergrundarmee UÇK (nach früherem Dačić-Sprech ein „Oberterrorist“), sitzen heute am Konferenztisch einmütig zusammen. Auch wenn sie darin übereinstimmen, bezüglich des Status des Kosovo nicht übereinzustimmen, haben sie gemeinsam offene Fragen geklärt – und damit Hindernisse auf dem Weg in die EU weggeräumt.

Nur in Bosnien und Herzegowina hat das mit der „Soft Power Europa“ bisher nicht so richtig funktioniert. Das Land braucht mehr denn je eine EU-Beitrittsperspektive. Damit gerade junge Menschen nicht endgültig in Hoffnungslosigkeit verfallen und fürchten, auf ewig vom vereinten Europa ausgesperrt zu bleiben. Damit sie wissen, wohin bei Rechtsstaatlichkeit die Reise gehen muss, und sie ihre eigenen Politiker daran messen können.

Viele dieser Politiker sind gar nicht begierig auf einen EU-Beitritt, weil der ihre Macht gefährden würde. Sie missbrauchen die Friedenskonstruktion von Dayton, verschanzen sich in diesem staatsrechtlichen Labyrinth, um ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen zu verteidigen. Was liegt für sie also näher, als eine Annäherung an die EU zu hintertreiben?

Bosnien und Herzegowina braucht mehr als eine EU-Beitrittsperspektive. Es braucht eine neue Idee. Milorad Dodik, Präsident der Serbischen Republik, benützt die derzeitigen Sozialproteste dazu, um wieder eine Teilung des Landes zu fordern. An den Problemen Korruption und Vetternwirtschaft, die auch in der Serbischen Republik massiv sind, würde eine Teilung freilich nichts ändern. Sie würde nur kleptokratische Strukturen auf eine neue staatsrechtliche Ebene stellen. Das Dayton-Abkommen hat das Land in eine „Serbische Republik“ und eine „Föderation“ mit bosniakischer und kroatischer Mehrheit und vielen Kantonen aufgeteilt. Es erhob das Prinzip der paritätischen Besetzung von Ämtern nach ethnischen Kriterien zu einem wichtigen Prinzip. Das war nötig, um 1995 den Krieg zu beenden. Doch 1995 ist lange her.

Wie kann ein Modus Vivendi gefunden werden, damit sich Serben und Kroaten neben den Bosniaken als Bürger des Gesamtstaats fühlen – ohne Angst, ihre ethnische Identität zu verlieren? Und wie können teure Strukturen vereinfacht und Machtmissbrauch durch lokale „Fürstentümer“ beendet werden?

USA, EU und andere internationale Akteure müssen sich daran erinnern, einst Verantwortung für das Land übernommen zu haben. Auch Wien könnte Ideen liefern – hat doch Außenminister Kurz angekündigt, einen besonderen Schwerpunkt auf Südosteuropa legen zu wollen. Externe Player können freilich nur assistieren. Auf eine Lösung einigen müssen sich die Menschen in Bosnien und Herzegowina, so schwierig das auch ist. Mit ungelösten internen Problemen bleibt der Weg in die EU versperrt.

E-Mails an:wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.