Leitartikel: Es ist an der Zeit, Viktor Janukowitsch zu ächten

Der ukrainische Präsident hat den Kompromiss stets ausgeschlagen und auf Zeit gespielt. Die EU darf dabei nicht mehr tatenlos zusehen.

Es war Anfang Dezember, kurz nach dem Ausbruch der politischen Krise in der Ukraine, als Präsident Viktor Janukowitsch sich nach einigen Tagen andauernder Proteste zu einem Dialog bereiterklärte. Für Beobachter war es aufschlussreich zu sehen, was der Staatschef unter dem Begriff Dialog verstand. Janukowitsch traf mit seinen Amtsvorgängern Leonid Kutschma und Leonid Krawtschuk zusammen, um die aktuelle Krise zu erörtern: Es war ein gepflegtes Treffen von Elder Statesmen bei Kaffee und Kuchen. Es dauerte ein paar weitere Tage, bevor Janukowitsch bereit war, die wirkliche Opposition zu empfangen, und diese Treffen sind weitgehend ergebnislos verlaufen.

Im Gegensatz zur Opposition war Janukowitsch nie zu einem wirklichen Dialog bereit. Die Opposition hat stets Gespräche gefordert. Ja, manche ihrer Forderungen mögen überzogen gewesen sein. Aber sie war im Verlauf der Krise auch bereit, ihre Position zu ändern: Wollte man zunächst nur die Freilassung von Gefangenen erwirken, forderte man später vollmundig den Rücktritt des Präsidenten und machte sich zuletzt konstruktiv für eine Verfassungsreform und Vertrauensregierung stark. Janukowitsch hat Zeitfenster, in denen Kompromisse noch möglich gewesen wären, verstreichen lassen. Einen Kompromiss, der die Beschneidung seiner Macht bedeuten würde, hat er stets ausgeschlagen. Er war nie zu Kompromissen bereit - er hat auf Zeit gespielt.

Die Polittechnologie der Verzögerung ist vielleicht das Einzige, worin er wirklich gut ist. Gehandelt, wenn auch widerwillig, hat die Führung stets nur nach Gewalteskalationen. Dabei hat man allerdings übersehen (oder aber bewusst damit gepokert), dass der Preis für eine Rückkehr an den runden Tisch immer höher wird. Und dass beim blutigen Finale, das jetzt gekommen ist, womöglich die Kiewer Innenstadt von den Demonstranten gesäubert ist, sich aber beide Lager so unversöhnlich wie nie zuvor gegenüberstehen. Früher oder später wird das für ihn persönliche Konsequenzen haben. Man kann sicher sein, dass er den Zeitpunkt, zu dem seine Kontrahenten Rache nehmen werden, jetzt schon fürchtet.

Den wirklich hohen Preis zahlen jedoch die Bürger des Landes: Es ist - anders als bei der Orangen Revolution vor neun Jahren - nicht gelungen, die Krise unblutig zu lösen. Gewalt ist - mehr als 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion - an die Stelle des politischen Gestaltungswillens getreten.
Die Ukraine ist heute ein Land an der Ostgrenze der Europäischen Union, in dem bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen - und in dem das (weiß-)russische Szenario von Repression gegen politische Gegner, Ausschaltung der Opposition und autoritärer Cliquenherrschaft immer wahrscheinlicher wird.

Apropos Europäische Union. Man muss die EU nicht in den unflätigen Worten der US-Staatssekretärin Victoria Nuland kritisieren, um dennoch einiges an ihrem Verhalten in dieser Krise als nicht geglückt zu befinden.

Die EU hat zu lange gezaudert. Sie hätte schon viel früher Druck machen müssen: von an Bedingungen geknüpften Verhandlungen bis hin zu Sanktionsdrohungen, die die ukrainische Opposition schon seit Wochen fordert. Man verließ sich - zumindest nach außen hin - auf die von Kiew beteuerte Dialogbereitschaft, obwohl man sicher wusste, dass gutes Zureden überhört würde. Im privaten Gespräch gestanden westliche Diplomaten ein, dass Kiews Politikverständnis ein fundamental anderes sei - und der Kompromiss nicht zum Politvokabular der Führung gehört.

Es ist an der Zeit, dieses Regime zu ächten. Das, was in der Ukraine jetzt passiert, ist die kompromisslose Niederschlagung eines zunächst friedlichen und berechtigten Protests. Es reicht nicht mehr, sich schockiert zu zeigen und von der abzulehnenden „Gewalt auf beiden Seiten" zu sprechen. Ja, beide Seiten haben Gewalt angewendet. Doch die Frage ist, wer es zu verantworten hat, dass diese Krise derart eskaliert ist. Und da trägt die Hauptlast jener Mann, der sich in der Ukraine ein System der Macht gezimmert hat, in dem er letztverantwortlich ist.

E-Mails an: jutta.sommerbauer@diepresse.com

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