Die Schulreformer ruinieren ihre eigenen Reformen

Dass unverschlüsselte Testergebnisse im Internet auftauchen, ist nicht nur ein Datenschutzskandal. Es ist auch schulpolitisch verheerend.

Versuchen wir noch einmal, aus Sicht der Betroffenen zu verstehen, was da gerade passiert ist: Das Kind absolviert einen Test, bei dem es seine eigenen Stärken und Schwächen kennenlernen kann. Alle Beteiligten - Lehrer, Eltern und Schüler selbst - gehen davon aus, dass die Ergebnisse vertraulich behandelt werden. Nur die Schüler selbst sollen, gemeinsam mit ihrem Lehrer oder ihrer Lehrerin, ein Gefühl für die eigenen Leistungen bekommen. Wenig später tauchen die Daten von Lehrern und Schülern im Internet auf. Unverschlüsselt, nicht passwortgeschützt, auf einem ausländischen Server.
Wie genau die Daten dorthin gelangt sind, ist eine der offenen Fragen. Wer dafür zur Verantwortung zu ziehen ist, ist eine weitere. Das Bundesinstitut für Bildungsforschung BIFIE - das im Gespräch mit der „Presse" sogar zugab, über das Leck informiert zu sein - wird in den kommenden Tagen und Wochen gut beraten sein, hier rasch Klarheit zu schaffen.
Etwas anderes ist jetzt schon klar: An dem Bildungsinstitut dürfte in Sachen Datensicherheit das herrschen, was man auf gut Österreichisch wohl am treffendsten als Saustall bezeichnen würde. Und: Das Institut hat mit dem sich abzeichnenden Datenskandal das ohnehin brüchige Vertrauen der Österreicher in die Reformer des Schulsystems nachhaltig erschüttert.

Das ist umso schlimmer, als das Institut im Verantwortungsbereich des Unterrichtsministeriums liegt und für eine ganze Reihe anderer Tests und Bildungsreformen verantwortlich ist. Das BIFIE führt in Österreich die PISA-Studie durch. Es organisiert die für alle Schüler verpflichtenden Tests zu den Bildungsstandards. Und es verantwortet die Zentralmatura. All diese Projekte sind nicht nur bildungspolitisch umstritten. Bei all diesen Projekten werden sensible Schülerdaten gesammelt und zentral gespeichert.
Die Zuständigen haben sich in den vergangenen Jahren vor allem mit Blick auf die Zentralmatura redlich bemüht, alle Zweifel an der Sicherheit des Systems zu zerstreuen: Da war die Rede von digitalen Plattformen, die gänzlich vom Internet abgekoppelt seien. Es war die Rede von Geheimhaltungsklauseln, die alle Beteiligten unterschreiben müssen. Und es war die Rede von geheimen Druckereien, in denen eigens die Schlösser ausgetauscht werden, bevor die Testbögen unter Kameraüberwachung erstellt und von einer Sicherheitsfirma in mit GPS zu ortenden Transportern abgeholt werden.
All das ist jetzt Makulatur. Wer, bitte, soll das noch glauben? Vielmehr werden sich die Verantwortlichen die Frage gefallen lassen müssen, an welchen öffentlich zugänglichen Orten sie die personenbezogenen Informationen der Schüler das nächste Mal abzulegen und zu vergessen gedenken.

Besonders tragisch ist, dass das BIFIE damit nicht zuletzt auch Reformen in Misskredit bringt, die schulpolitisch durchaus sinnvoll sind. Die Sicherheitslücken im System sind Wasser auf die Mühlen der Gegner. Da etwa die schwarze AHS-Lehrergewerkschaft, die am Wochenende sogar den (jenseitigen) Vorschlag der scheidenden SPÖ-Bildungssprecherin Laura Rudas, die Matura ganz abzuschaffen, aufgegriffen hat, nur um die Zentralmatura zu verhindern. Sie wird sich über die Steilvorlage freuen. Auch Eltern- und Schülervertreter, die gegen die Zentralmatura wettern, werden den Skandal zu nutzen wissen.
In nächster Zeit wird man ihnen mit inhaltlichen Argumenten kaum beikommen können. Und das ist, so schwer dieser Schluss fällt, vielleicht sogar gut so. Solange ein umstrittenes System von Leuten verantwortet wird, die nicht einmal in der Lage scheinen, ihre Materialen mit einem Passwort zu schützen, ist Skepsis wohl angebracht.
Die neue Unterrichtsministerin, Gabriele Heinisch-Hosek, muss rasch für Ordnung sorgen. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass das Bildungsinstitut für negative Schlagzeilen sorgt. Die Leitung des Instituts Menschen zu übertragen, die nicht bloß nach ihrer Parteizugehörigkeit ausgesucht werden, sondern sich verantwortungsvoll und mit Fachwissen ihren Aufgaben widmen, könnte ein erster Schritt sein.

E-Mails an: christoph.schwarz@diepresse.com

>> Datenleck: 400.000 vertrauliche Schülertests im Internet

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2014)

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