Der Westen in der Passivitätsfalle

Obama und Putin
Obama und PutinREUTERS
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Was einmal funktioniert, funktioniert immer wieder? Der Westen muss klarmachen, dass Putins Kalkül, dass man ohnehin keine Konsequenzen zieht, nicht aufgeht.

Auf Twitter kursiert derzeit ein Witz, der nicht lustig, dafür umso treffender ist: Putin took Crimea, Obama took a position – Putin hat die Krim eingenommen, Obama eine Position. Damit ist der Handlungsspielraum des Kreml-Chefs und des US-Präsidenten in der Krim-Krise recht präzise umschrieben.

Was für Obama gilt, gilt derzeit auch für den Rest der Welt: Während Putin in der zur Ukraine gehörenden Krim-Republik Fakten schafft, sieht ihm der Westen dabei zu – überrumpelt von dem Mann, der eben noch bei Olympia der Gastgeber der Welt war. Putin selbst ist es nach Sotschi offenbar egal, was der Westen von ihm denkt. Einige Experten meinen sogar, die westliche Kritik an Putin vor und während der Olympischen Spiele habe ihn in dieser Haltung noch bestärkt – Motto: Ist der Ruf einmal ruiniert, lebt es sich angenehm ungeniert. Putin richtet dem Westen, den er für den Umsturz in der Ukraine mitverantwortlich macht, jedenfalls gerade sehr unmissverständlich aus, dass dieser in seinem „Hinterhof“ nichts zu suchen hat. Das Eingreifen auf der Krim betrachtet Russland nonchalant als interne Angelegenheit.

Weil Putins gar nicht so schleichende Übernahme der mehrheitlich ethnisch russischen Halbinsel dem dramaturgisch geschickt platzierten Hilferuf der pro-russischen Führung folgt, tut sich der Westen mit seiner Reaktion schwer. Obama selbst blieb eine konkrete Konsequenz in seinem Statement Freitagnacht schuldig: Was genau der „Preis“ sei, den Putin laut Obamas Drohung für die Verletzung der ukrainischen Souveränität zahlen müsse, buchstabierte er nicht aus. Möglicherweise werden die USA den G8-Gipfel in Russland im Juni boykottieren, hieß es. Gleichzeitig weiß man, dass die USA Russland schon lange umwerben, um eine Lösung für Syrien und den Iran zu finden. Das nimmt den vagen Botschaften aus dem Weißen Haus Schärfe.
Aber immerhin hat sich Obama geäußert. Andere, die das viel mehr angeht, sind etwas langsamer – Montag wollen die EU-Außenminister beraten. Sie müssen mehr als besorgte Worte finden. Die EU hat in der Ukraine eine historische Verantwortung. Immerhin ist der Konflikt um das Assoziierungsabkommen zwischen Ukraine und EU eine der Wurzeln des Protests am Maidan. Dementsprechend würde es der EU gut anstehen, Klartext zu reden.

Denn die aktuelle Situation erinnert an das russische Faktenschaffen im Georgien-Krieg. Damals wurde der EU wie auch der Nato (die Verbündeten konsultieren einander aktuell zur Krim-Krise) rasch bewusst, wie begrenzt die Einwirkungsmöglichkeiten auf Russland sind: Da Georgien (wie die Ukraine) kein Nato-Mitglied war, fiel eine Militäraktion aus. Letztlich ging der Westen damals nach kurzer diplomatischer Funkstille sehr schnell wieder zum business as usual über.

Was einmal geht, geht immer wieder, mag sich Putin nun denken. Wenn das das russische Kalkül war, droht es derzeit erneut aufzugehen. Denn egal, wie der rechtliche Status der Krim nach dem für Ende März angesetzten Referendum ausgehen wird, die Entfernung der Halbinsel von der Ukraine ist de facto  vollzogen. Umso wichtiger wäre es, dass die EU nachhaltig und bald klarstellt – und zwar sowohl mit diplomatischen Mitteln als auch mit ökonomischem Druck –, dass das Vorgehen Russlands zumindest auf internationaler Ebene nicht folgenlos bleibt. Krieg will keiner, aber es kann nicht sein, dass sich Russland unter dem Vorwand des Schutzes russischer Bürger einfach so über Staatsgrenzen hinwegsetzt, um die Ukraine für ihre Annäherung an den Westen zu bestrafen. Die EU muss Verantwortung für die Ukraine übernehmen, die nicht nur in eine ökonomische Krise schlittert, sondern auch einer Spaltung entgegensieht. Die Krim muss zum Anlass werden, endlich aus der Passivitätsfalle gegenüber Putin herauszufinden. Sonst wird ein Twitter-Scherz noch dauerhaft traurige Realität.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2014)

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