Putins Spiel am Rande des Abgrunds

Russian President Vladimir Putin speaks during a meeting with paralympic delegations in Sochi
Russian President Vladimir Putin speaks during a meeting with paralympic delegations in SochiREUTERS
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Russlands Präsident Putin wird die Krim nach dem heutigen Referendum nicht mehr hergeben. Er konnte seinen Gewinn bereits militärisch absichern, weil der Westen nicht zum Äußersten bereit war.

Russlands Präsident Wladimir Putin legt sein Spiel hart an. Er geht davon aus, dass seine Gegner zurückweichen. Seine Annahme hat sich gleich zu Beginn der Krim-Krise bestätigt. Während Russland seinen Anspruch auf die ukrainische Halbinsel deutlich machte, indem es tausende zusätzliche Soldaten ohne Hoheitsabzeichen aufmarschieren ließ, nahm der Westen die militärische Option vorweg vom Tisch. Um keinen Krieg zu riskieren, blendete US-Präsident Barack Obama eine wesentliche Dimension amerikanischer Machtausübung aus. Zweifellos eine verantwortungsvolle und friedfertige Entscheidung, die jedoch dem russischen Präsidenten einen Vorteil verschafft, den er sich nicht mehr aus der Hand nehmen lässt.

Putin spielt mit hohem Einsatz und wagt sich ans Limit. Brinkmanship nennt sich diese Strategie im Englischen. Gewinner solcher Auseinandersetzungen ist, wer bis an den Rand des Abgrunds („brink“) geht und so den Gegner zum Nachgeben zwingt. Bei diesem Hasard können am Ende auch alle verlieren, wenn nämlich niemand einlenkt und sich beide ins Verderben stürzen. Und da ist es immer noch günstiger und vernünftiger, einzuknicken und dem Rivalen einen Punktesieg zu gönnen.

So viel zur spieltheoretischen Betrachtung des aktuellen Konflikts. Die Wirklichkeit ist komplizierter. Denn Putin und der Westen agieren auf einem mehrdimensionalen Schachbrett, das auch politische und wirtschaftliche Ebenen hat. Nach dem heutigen Referendum, in dem sich die russische Majorität der Krim-Bewohner wohl für einen Anschluss an Russland aussprechen wird, geht die Konfrontation in die nächste Runde.

Ein Absatz noch zur Stimmzettelfarce: Die überwältigende Mehrheit der internationalen Gemeinschaft wird die Abstimmung nicht anerkennen. Zu Recht: Die pseudodemokratische Veranstaltung findet unter militärischem Druck und ohne vorherige Verhandlungen statt. Ein derartiges Referendum ist zudem weder in der Verfassung der autonomen Krim-Region noch im Grundgesetz der Ukraine vorgesehen. Rechtsexperten des Europarats, dem auch Russland angehört, haben den Volksentscheid deshalb inzwischen als illegal gebrandmarkt.

Am Montag wird die EU kaum umhinkönnen, ihre Drohungen wahrzumachen und Sanktionen gegen die russische Führung einzuleiten. Ein Härtetest für Europa, denn Moskau wird die Strafe nicht unbeantwortet lassen. Wenn die Union jedoch ihren Ankündigungen keine Taten folgen ließe und die Verletzung der territorialen Souveränität der Ukraine duldete, wäre dies ihr Ende als außenpolitischer Akteur. Putin wird es darauf ankommen lassen. Und selbst wenn sich die EU zu Sanktionen durchringen sollte, wird der Herrscher im Kreml darauf vertrauen, über den längeren Atem und die höhere Schmerztoleranz zu verfügen. Doch könnte er weitere Dämpfer für die ohnehin angeschlagene russische Wirtschaft wirklich so leicht wegstecken? Und wenn ja, wie lange?


Neoimperial.
Kompromisse lassen sich mit jemandem wie Putin schwer finden. Der Mann geht nicht nur an den Rand des Abgrunds, er ist auch ein Nullsummenspieler, der in Kategorien des Verlierens und Gewinnens denkt. Dass es auch Win-win-Situationen gibt, die allen nützen, ist für ihn offenbar kaum vorstellbar. Sonst hätte er im Fall der Ukraine einen Ausgleich gesucht, der es der Ex-Sowjetrepublik ermöglichte, sowohl einer Freihandelszone mit der EU anzugehören als auch im Geschäft mit Russland zu bleiben.

Putin jedoch agiert neoimperial, will Einflusssphären abstecken. Das entspricht der Großmachtpolitik des 19. Jahrhunderts, die freilich, wie man sieht, funktionieren kann, solange niemand dagegenhält.

Hergeben wird Putin die Krim kaum mehr. Er wäre wohl auch gar nicht mehr in der Lage, die von ihm ausgelöste Dynamik wieder einzufangen. Jetzt geht es vor allem darum, ihn mit harten Sanktionen davon abzuhalten, sich weitere Gebiete einzuverleiben, etwa im Osten der Ukraine.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2014)

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