Die bizarre Machtdemonstration der ägyptischen Generäle

EGYPT JOURNALISTS TRIAL
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Das 529-fache Todesurteil erinnert an Unrechtsprechung à la Nordkorea. Drei Jahre nach Mubaraks Sturz kippt Ägypten immer tiefer in eine neue Diktatur.

Der Richter machte sich nicht einmal die Mühe, dem Verfahren auch nur einen Anstrich von Rechtsstaatlichkeit zu verleihen. Ohne sich lange mit Zeugen zu beschäftigen, verurteilte er 529 Anhänger der Muslimbruderschaft auf einen Streich zum Tode. Drei Jahre nach dem Sturz Hosni Mubaraks bietet Ägyptens Justiz der Welt ein bizarres Schauspiel, das man nur mehr aus Hardcore-Diktaturen wie Nordkorea kannte. Die Ausschreitungen in Minia, für die die Schuldigen – in einem fairen Verfahren – auch bestraft werden müssen, gaben dabei nur die Kulisse ab. Selbst in den letzten Jahren der Mubarak-Herrschaft hätten es die Regisseure im politisierten Staatsapparat nicht gewagt, ein derartiges Stück aufzuführen.

Bleibt die Frage, welche Botschaft den Zuschauern vermittelt werden soll. Die Anhänger der Muslimbruderschaft sollen in Schrecken versetzt werden. So viel ist klar. Noch ist Berufung möglich. Und noch wurde niemand exekutiert. Sollte das so bleiben und sollten die Verurteilten als Geiseln genommen werden – nach dem Motto: Verhaltet euch ruhig, sonst sterben eure Freunde! –, könnte diese Abschreckung vielleicht sogar kurz funktionieren. Sollten aber Massenhinrichtungen durchgeführt werden, würde das einen neuen Aufstand der Bruderschaft provozieren.

Ägyptens Herrschende schicken aber nicht nur eine Botschaft an die islamistischen Muslimbrüder. Sie wollen auch unter allen anderen Furcht verbreiten, die auf die Idee kommen könnten, Kritik zu äußern. Denn mittlerweile sind auch längst liberale und linke Aktivisten ins Visier der Behörden geraten – Personen, die 2011 beim Aufstand gegen Mubarak auf dem Tahrir-Platz an vorderster Front gestanden sind.

Dass der Staatsapparat nun auch wieder gegen sie losschlägt, spricht Bände. Ebenso, dass – im Vergleich zum jetzigen Massentodesurteil – Mubarak und seine Gehilfen bisher mit Samthandschuhen angefasst worden sind. Während die Verhandlungen gegen Mubarak und andere hochrangige Verantwortliche für die Attacken auf Demonstranten 2011 weitgehend verschleppt werden, genügten beim Pseudoprozess gegen die 529 Anhänger der Muslimbrüder nicht einmal zwei Tage für die „Urteilsfindung“. Damit scheinen Ägyptens neue Herren auch eine weitere Botschaft zu versenden: Das alte Regime ist zurück. Genau genommen war es nie wirklich weg, zumindest ein Teil davon.

Als Anfang 2011 Zigtausende revoltierten, zogen einige Fraktionen des Regimes rund um das Militär die Notbremse. Die Generäle setzten den greisen Präsidenten samt seinem auch in der Armee verhassten Familienclan ab und traten selbst in die erste Reihe. Als sie wegen Menschenrechtsverletzungen und Misswirtschaft immer stärker in die Kritik gerieten, machten sie einen taktischen Rückzug und übergaben die Regierungsverantwortung der Muslimbruderschaft, die bei den Wahlen gesiegt hatte. Versuche des Präsidenten, Mohammed Mursi, und der Muslimbrüder, die Rolle des Islam in Staat und Gesellschaft zu stärken, die Überheblichkeit, mit der Bedenken der Opposition abgeschmettert wurden, und v.a. die Unfähigkeit der Islamisten, die Wirtschaft in Gang zu bringen und die soziale Lage der Massen zu verbessern, trieb abermals Zigtausende auf die Straße. Und das Militär putschte erneut.


Dieses Mal scheinen die Generäle aber fester denn je im Sattel zu sitzen. Viele Ägypter feiern sie als „Retter des Landes“. Vor allem Feldmarschall Abdel Fatah al-Sisi, der neuer Präsident werden will und wohl auch wird, erfreut sich – unter massivem Zutun der Staatsmedien – fast kultischer Verehrung. Wer sich öffentlich erdreistet, das nicht so zu sehen, wird rasch mundtot gemacht.

Sollte das 529-fache Todesurteil nicht revidiert werden, verabschiedet sich Ägypten endgültig vom Weg zu mehr Rechtsstaatlichkeit, für den 2011 viele gekämpft haben. Den diktatorischen Weg mag al-Sisi mit Gewalt und Finanzspritzen seiner neuen Freunde in Saudiarabien einige Zeit lang durchhalten. Doch irgendwann wird die Wut der Menschen wieder wachsen. Ägypten findet nicht aus der Wirtschaftsmisere. Keine Arbeit und keine Freiheit zu haben ist eine brisante Mischung, die schon vor drei Jahren zu Massenexplosionen in der arabischen Welt geführt hat.

E-Mails an:wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2014)

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