Borealis verseucht die Donau mit Plastik. Die Fakten hält der Konzern unter Verschluss und nährt so die Sorge, dass die Rechnung der Steuerzahler erhält.
In Europas zweitgrößtem Fluss schwimmen mehr Plastikteile als Jungfische, berichtet die Universität Wien. „Presse“-Recherchen zufolge ist einer der Hauptschuldigen an der Plastikschwemme in der Donau der österreichisch-arabische Chemiekonzern Borealis. Von der Öffentlichkeit unbemerkt, flossen jahrelang große Mengen an Plastik aus dem Unternehmen ins Wasser und damit in die Nahrungskette. Vier Millionen Euro nahm der Konzern in die Hand, um die leckenden Anlagen zu reparieren – und dachte, der Fall sei damit erledigt. Denn ob Borealis für die Umweltschäden zahlen wird, steht in den Sternen. Noch ist nicht klar, wie groß der Schaden wirklich ist. Eine Sonderauswertung der Studie, die die Antwort darauf hätte, hat Borealis der Universität Wien abgekauft – und in der tiefsten Schubladen des Konzerns versenkt.
Nicht genug, dass das Unternehmen versucht hat, die Affäre unter den Teppich zu kehren. Erst „Presse“-Recherchen zwangen Borealis zu reagieren. Offenbar ist es aber immer noch nicht selbstverständlich, dass das Unternehmen reinen Tisch machen und alle Fakten veröffentlichen muss. Der Versuch, die Studie unter Verschluss zu halten, ist wirtschaftsfeindlicher als alle Umweltvorschriften zusammen. Denn mit dieser Art der Intransparenz wird das Vorurteil in der Bevölkerung genährt, dass sich am sorglosen Umgang vieler Unternehmen mit der Umwelt nichts geändert habe.
Wenn Unternehmen nicht rasch und offen auf Fehler reagieren, ist es kein Wunder, dass die Meinung vorherrscht, dass all die auf chlorfreiem Papier gedruckten Nachhaltigkeitsberichte der vergangenen zwanzig Jahre einzig und allein der Imagepolitur gedient haben. Und auch da, wo es entsprechende Vorschriften gibt, werden sich die Unternehmen schon zu helfen wissen. Dass BP nach der Ölpest im Golf von Mexiko derzeit sogar jenen Klägern Geld zahlen muss, die nicht nachweisen können, ob ihre Schäden durch den Unfall verursacht wurden, gerät schnell in Vergessenheit. In Erinnerung bleiben hingegen Fälle wie der Unfall des Öltankers Exxon Valdez vor einem Vierteljahrhundert. 19 Jahre dauerte es, bis sich der Konzern vor Gericht geschlagen gab und den Betroffenen Entschädigungen zahlte. Von den fünf Milliarden Dollar Schadenersatz, die die Richter für die Verseuchung der Küste Alaskas gefordert hatten, zahlte Exxon letztlich ein Zehntel.
Egal, ob Erdöl, Plastik oder Smog. Nicht der Einzelfall ist relevant, sondern vielmehr die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Mentalität eingebürgert hat, dass der Steuerzahler letztlich jede Rechnung begleichen wird. Eine Bank versenkt Milliarden? Kein Problem, die retten wir. Ein Baumarkt steht vor dem Ende? Kein Problem, da gibt es sicher ein paar Kunstwerke, die wir kaufen könnten. Und rinnt Plastik ins Gewässer, werden wir auch noch eine Handvoll Euros finden, um den Schaden zu beheben.
Der größte Unterschied zwischen den Beispielen: Bei der Umwelt ist das Steuerzahlerprinzip sogar im Gesetz verankert. Um das zu verstehen, muss man sich das unwürdige Gezerre rund um das Umwelthaftungsgesetz in Erinnerung rufen. 2004 forderte die EU ihre Mitgliedstaaten per Richtlinie auf, bei Umweltschäden das sogenannte Verursacherprinzip einzuführen. Sprich: Wer Umweltschäden verursacht, soll dafür bezahlen. Doch das Gesetz wurde so lange verschleppt, bis der EuGH Österreich auf die Finger klopfte. Danach verkam es weitgehend zum Papiertiger. „Zahnlos“ nennt der Linzer Universitätsprofessor Ferdinand Kerschner das geltende Recht. Selbst in den zuständigen Behörden räumt man ein, dass Österreich nur die „Minimalvariante der Richtlinie“ umgesetzt habe. Kein Politiker hätte besonderes Interesse an der Causa gehabt.
Genau so liest sich das Gesetz dann auch: Sind die Schäden klein genug, haben Unternehmen nichts zu befürchten, heißt es. Wie klein „klein genug“ ist, steht nirgends. Die nötigen klärenden Urteile fehlen. Wer Gewässer verschmutzt, darf sich sogar noch sicherer fühlen, solange er sich vorher eine Genehmigung geholt hat. Nur für den Steuerzahler kann die Rechnung anscheinend wieder einmal nicht „groß genug“ sein.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2014)