Warum Putin die Gaswaffe zückt und Obama die Sanktionskeule schwingt

Vor der Genfer Ukraine-Konferenz bauen sowohl der Westen als auch Russland Drohkulissen auf, um ihre Verhandlungsposition zu stärken.

Wladimir Putin ist ein vorausschauender Mann. Und deshalb hat er 18 Staats- und Regierungschefs der EU, darunter auch dem österreichischen Bundespräsidenten, Heinz Fischer, einen Brief geschrieben. Darin verlautbarte der Kreml-Herrscher, dass die benachbarte Ukraine russisches Gas künftig nur noch gegen Vorauszahlung erhalten werde. Notfalls werde Russland seine Energielieferung drosseln oder ganz einstellen. Und das wiederum, so kündigte Putin an, könnte Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit in Europa haben. Deshalb seien russisch-europäische Konsultationen auf Ministerebene unerlässlich.

Danke für die Vorwarnung, Herr Präsident, die man allerdings nur bei einer Überdosis guten Willens als Akt der Höflichkeit auslegen könnte. In Wirklichkeit handelt sich um eine Drohung. Putin zückt im Ringen um die Ukraine seine schärfste Waffe: die Gasversorgung, von der nicht nur die Ex-Sowjetrepublik, sondern auch etliche europäische Länder, darunter Österreich, abhängig sind.

Vor der Ukraine-Konferenz, die am Gründonnerstag in Genf stattfinden soll, erhöhen beide Seiten den Einsatz. Sowohl Russland als auch der Westen bauen ihre Drohkulissen auf. Die USA und die EU müssten eine Verschärfung ihrer Sanktionen gegen Russland vorbereiten, ließ US-Präsident Obama nach einem Telefonat mit der deutschen Bundeskanzlerin, Angela Merkel, ausrichten. Beide riefen zum unverzüglichen Abzug der russischen Truppen von der ukrainischen Grenze auf.

Die von Russland völkerrechtswidrig annektierte Krim hat der Westen längst aufgegeben, auch wenn es noch niemand laut sagt. Europa und die USA haben inzwischen auf eine Eindämmungsstrategie umgeschwenkt. Dabei spielt auch die Nato, die Putin unbeabsichtigt zu neuem Leben erweckt hat, eine tragende Rolle. Das Hauptziel: Russland soll daran gehindert werden, sich nach der Krim nun auch die Ostukraine und andere postsowjetische Gebiete mit hohem russischen Bevölkerungsanteil unter den Nagel zu reißen.

Seit Wochen versucht Moskau, auch den Osten der Ukraine zu destabilisieren. Gewisse Ähnlichkeiten zum Vorgehen in der Krim sind dabei nicht unerwünscht. Besonders unheimlich wurde es, als pro-russische Separatisten das Gebäude der Gebietsverwaltung in Donezk besetzten, eine eigene Volksrepublik ausriefen und Putin um militärischen Beistand baten.

Dem russischen Präsidenten ist nach der Einverleibung der Schwarzmeer-Halbinsel zweifellos einiges zuzutrauen. Trotzdem erscheint ein Einmarsch in der Ostukraine sehr unwahrscheinlich. Putin kalkuliert kühl, er riskiert keinen Krieg. Außerdem hat er im Donbass bei Weitem nicht so viel Rückhalt wie auf der Krim. Die Ostukrainer wollen nicht den Anschluss an Russland. Die Demonstranten, die momentan für Unruhe sorgen, sind Augenzeugenberichten zufolge entweder von Moskau bezahlt oder kommen direkt aus Russland.


Das Spiel mit dem Feuer in der Ostukraine hat einen anderen Hintergrund. Russland bleibt in der Offensive, um erstens das Fait accompli auf der Krim zu zementieren und zweitens ein Druckmittel für seinen künftigen Einfluss in der Restukraine aufzubauen. Die Ziele hat Außenminister Sergej Lawrow ziemlich offen dargelegt: Russland will erreichen, dass die Ukraine einen Nato-Beitritt für immer ausschließt und sich für neutral erklärt. Zudem soll die ukrainische Regierung ihren Zugriff auf die Region im Osten lockern, damit Moskau seinerseits seine dortigen wirtschaftlichen und politischen Bande festigen kann. Wünschen kann man sich alles. Das heißt aber noch nicht, dass es so kommen muss.

In Genf wird es Aufgabe des Westens sein, der Ukraine den Rücken zu stärken und zu ihren Rechten als souveränem Staat zu verhelfen. Ein Deal mit Russland über die Köpfe der Ukrainer hinweg wäre fatal. Doch so weit wird es am Gründonnerstag ohnehin noch nicht kommen. In Genf beginnt das Gespräch erst. Hoffentlich wird es fortgesetzt – und demnächst auch mit einer für alle, vor allem auch für die Ukraine, akzeptablen Formel abgeschlossen. Denn einen neuen Kalten Krieg braucht im 21.Jahrhundert keiner. Außer vielleicht Putin.

E-Mails an:christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2014)

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