Ein Präsent für deutsche Senioren als fatales Signal an Europa

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Die „Rente mit 63“ wird das Pensionssystem beim großen Nachbarn nicht sprengen. Aber das Europa der Reformer spricht fortan nicht mehr Deutsch.

Es ist Frühling in Europa, auch in seinen Volkswirtschaften. Die düsteren Propheten der Euro-Eiszeit reiben sich ungläubig oder beschämt die Augen: Im krisengeschüttelten Süden keimt und sprießt es. Griechenland kehrt auf den Kapitalmarkt zurück. Italien befreit sich aus der längsten Rezession der Nachkriegsgeschichte. Spanien ist wieder wettbewerbsfähig und glänzt mit Exportüberschüssen.

Die Börsen von Madrid, Mailand und Athen boomen. Da ist gewiss einiges an spekulativer Fantasie dahinter, und die Europäische Zentralbank agiert mit nicht astreinen Methoden als Rückversicherer für jedes Risiko. Auch dürften politische Eisheilige noch manch zartes Pflänzchen knicken. Dennoch: Viele Wurzeln greifen, die Erholung hat fundamentale Gründe.

Mit Blut, Schweiß und Tränen kämpfen sich die Südeuropäer aus der Misere. Die Lohnstückkosten sinken auf längst vergangene Werte. Übersetzt in die Sprache der Arbeitnehmer bedeutet das: niedrigere Löhne, geringere Pensionen, Kündigungen. Dass die meisten Bürger diese Rosskur mittragen, sollte Respekt abnötigen – auch und gerade jenen, die gern ihre müden Scherze über die angebliche Siesta-Trägheit der Südländer machen.

Viele Ökonomen hielten eine solche „innere Abwertung“ unter dem Joch eines starken Euro für unmöglich. Sparkurs und Strukturreformen, lautete ihre apokalyptische Botschaft, würden an sozialen Revolten scheitern. Nur die deutschen Mainstream-Volkswirte glaubten fest und innig an den Frühling im Süden. Schon aus Staatsräson, um der Kanzlerin in ihrer Litanei von den Segnungen des deutschen Weges als Chor zu dienen. Vor gut zehn Jahren wagte Merkels Vorgänger Schröder am kranken Mann Europas schroffe Reformen, die im saturierten Sozialstaat viele Tabus brachen, und legte so die Basis für den Erfolg. Der krönende Abschluss war, schon in einer Großen Koalition, die Anhebung des Pensionsalters auf 67 Jahre.

Gerade die Pensionsreform, die das Sozialsystem zukunftssicher machte, diente vielen Staaten als Vorbild. Spanien und Portugal sprangen spät auf den Zug auf. Italien, dessen Kassen durch dramatische Alterung und hohe Kosten besonders gefährdet sind, schritt kräftig ein und brachte sein Zukunftsrisiko in den Griff. „Jetzt wird in Europa Deutsch gesprochen“, triumphierte Unionsfraktionschef Kauder 2011, ohne Fingerspitzengefühl, aber mit bodenständigem Sinn für Realität.

Heute muss man hoffen, dass die Schüler ihre Sprachlektion rasch vergessen haben. Denn die Lehrer gönnen sich eine kecke Kehrtwende. In Sachen Pensionen haben Union und SPD schon im Wahlkampf alle Prinzipien der Nachhaltigkeit über Bord geworfen. Schamlos nutzt die neue GroKo ein demografisches Zwischenhoch, um gut gefüllte Kassen der Sozialversicherungen zu plündern und generöse Geschenke an alternde Stammwähler zu verteilen.

Die Mütterrente der Union ist da noch das geringere Übel. Es ist regelwidrig, so etwas über Versicherungsbeiträge zu zahlen. Aber weil sie verdammt teuer ist, hätten sonst die Steuern steigen müssen – und die Deutschen hätten klar gesehen, wie teuer sie das willkürlich definierte Mehr an „Gerechtigkeit“ kommt.

Der wahre Sündenfall aber ist das SPD-Herzensanliegen einer abschlagsfreien Rente mit 63 für Hackler mit 45 Beitragsjahren. Nicht wegen der Kosten (niedriger als bei der Mütterrente). Nicht wegen finanzieller Spätfolgen (mit 2029 ist der Spuk vorbei). Es droht auch kaum die Gefahr, dass Firmen ihre Mitarbeiter schon mit 61 kündigen und in eine staatlich gesponserte Frühpension schicken (sie sind todunglücklich, ihre erfahrensten Facharbeiter zu früh zu verlieren).


Das Fatale ist das Signal, das mit dieser Konter-Reform nach Europa hinausposaunt wird: Seht her, wir erlauben uns Dinge, die wir euch erfolgreich ausgetrieben haben. Deutschland hat damit seine Glaubwürdigkeit als ökonomischer Tugendwächter verspielt. So nachhaltig, wie es das Pensionssystem sein sollte.

Die Sprache der Reformer in Euroland ist nicht länger Deutsch. Es täte den Politikern in Berlin heute gut, selbst einen Kurs zu belegen. Im Istituto Cervantes oder bei der Società Dante Alighieri sind sicher noch ein paar Plätze frei.

E-Mails an:karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2014)

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