Stellvertreterkrieg bis zum letzten Iraker und zum letzten Syrer

Irak
Irak(c) APA/EPA/ALI ABBAS (ALI ABBAS)
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In einer Atmosphäre wachsender Gewalt finden am Mittwoch im Irak Wahlen statt. Und die Nachbarländer gießen bei diesem Konflikt Öl ins Feuer.

Es ist der „normal“ gewordene Irrsinn, das tägliche Grauen, das – mittlerweile kaum noch bemerkt von der Weltöffentlichkeit – den Irak peinigt. Mehr als ein Dutzend Polizisten starben am Montag bei Anschlägen auf Wahllokale – neue Zahlen einer schier endlosen Opferstatistik, hinter der sich persönliche Schicksale verbergen: Leben, die ausgelöscht wurden; Frauen, die nun um ihre Ehemänner, Kinder, die um ihre Väter trauern.

Am Mittwoch wird darüber abgestimmt, wer in den kommenden Jahren den Irak regieren soll. Doch die erste Parlamentswahl seit dem Abzug der US-Truppen findet in einer Atmosphäre wachsender Gewalt statt. Die Gräben in der Gesellschaft sind wieder tiefer geworden. Und maßgeblich dafür verantwortlich ist Iraks starker Mann, Nouri al-Maliki. Der Premier hat alles getan, um seine Macht zu festigen. Er hat dem zarten Pflänzchen der Demokratie, das in den Jahren nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein heranzuwachsen schien, das Sonnenlicht gestohlen. Es wird verdeckt vom mächtigen Gewächs an Korruption, Vetternwirtschaft und Autoritarismus, das Maliki kultiviert.

Vor allem in der sunnitischen Gemeinschaft des Irak stößt der Kurs des Premiers auf Widerstand. Maliki und seine Clique gehören der Gruppe der Schiiten an. Und viele Sunniten klagen, bei der Postenvergabe benachteiligt und mithilfe der Antiterrorgesetze unterdrückt zu werden. In den sunnitischen Hochburgen westlich der Hauptstadt Bagdad tobt seit Monaten ein Aufstand. Die Regierung schlägt mit militärischer Gewalt zurück.

Diese Revolte ist brandgefährlich, denn Extremisten versuchen, den Aufstand zu kapern. Zwar ist – entgegen den Behauptungen Bagdads – nicht jeder, der in den Sunnitengebieten um Falluja und Ramadi die Waffe erhebt, ein Jihadist. Doch die Gruppe Islamischer Staat im Irak und der Levante (Isil) hat hier ihren Einfluss deutlich ausgedehnt. Sie dürfte auch hinter einer Reihe von Selbstmordanschlägen stecken, die Bagdad und andere irakische Städte erschütterten.

Die Hardliner von Isil haben zuletzt sogar mit al-Qaida gebrochen, weil ihnen die jetzige Führung des Terrornetzwerkes – wie sie selbst sagen – zu „pragmatisch“ ist. Und der Westen des Irak dient Isil als Rückzugsbasis für Operationen in Syrien, wo sie mit ihren ausländischen Kämpfern eine Blutspur durch zahlreiche Dörfer gezogen hat.

Es ist mehr als beunruhigend, dass eine Gruppe Fanatiker, die in al-Qaida gleichsam einen Klub für ausgediente jihadistische Softies sieht, zu einem grenzüberschreitenden militärischen Faktor heranwächst. Doch der Aufstieg von Isil und der Aufstand anderer sunnitischer Gruppen im Irak zeigen auch etwas anderes, ebenso Beunruhigendes: Das Land leidet nicht nur an seinen massiven inneren Problemen. Es ist auch Schauplatz eines Stellvertreterkrieges, einer der Austragungsorte eines größeren Konfliktes, der sich vom Libanon über Syrien und den Irak bis in den Iran und in die arabischen Golfstaaten zieht.

Saudiarabien und die anderen sunnitischen Golfmonarchien sehen im schiitischen Iran einen gefährlichen Konkurrenten. Teheran hat über die Schiitenmiliz Hisbollah eine Verbündete im Libanon, und Irans Waffenhilfe hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Syriens Regimetruppen wieder auf dem Vormarsch sind. In Bagdad sitzt mit der Regierung Maliki eine schiitisch dominierte Führung, die den Luftraum für iranische Transportflugzeuge auf dem Weg nach Syrien freigibt.

Aus Sicht der Golfmonarchien gilt es, diesen Einfluss Teherans zurückzudrängen und den „schiitischen Bogen“ zu brechen, der sich vom Iran bis in den Libanon spannt. Deshalb unterstützen sie – auch extreme – sunnitische Gruppen, die in Syrien und im Irak kämpfen.

Die Krisen in Syrien und im Irak sind in erster Linie hausgemacht. Doch beide Länder können nur schwer Frieden finden, solange der Konflikt zwischen den Golfmonarchien und dem Iran nicht gelöst ist. Dafür brauchte es guten Willen beider Seiten. Doch danach sieht es nicht aus. Denn beide können gemäß ihrer zynischen Logik ihren Stellvertreterkrieg bequem weiterführen – bis zum letzten Syrer und zum letzten Iraker.

E-Mails an:wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2014)

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