Der heilige Sonntag und seine verlogenen Jünger

Wenn es um geschlossene Geschäfte am Sonntag geht, haben Unwahrheiten und gepflegte Irrtümer Hochsaison.

Man glaubt es kaum: Während der Fußball-Europameisterschaft 2008 dürfen Geschäfte in Österreich tatsächlich auch sonntags aufsperren. Allerdings nur von 12 bis 18 Uhr, und nur dort, wo es Herr und Frau Landeshauptmann erlauben. Aber keine Sorge, eine flächendeckende Ladenöffnung werde es auch in diesen drei Wochen keinesfalls geben, wie Gewerkschafter und Wirtschaftskammer-Funktionäre umgehend beruhigen. Allein diese Klarstellung zeigt, womit wir es hier zu tun haben: mit einer sonderbar sensiblen Debatte. Höchste Zeit also, sich wieder einmal den populärsten Argumenten der „Liga für den flächendeckenden Ladenschluss am Sonntag“ anzunehmen.
•„Es gibtohnehin keinen Bedarf“,wie allen voran die Wirtschaftskammer gerne erklärt (falls Sie ein im Ausland lebender Leser sein sollten: Die Wirtschaftskammer ist nicht die österreichische Bezeichnung für Gewerkschaft, sondern jene für die Interessenvertretung der Arbeitgeber). Ein bemerkenswerter Gedanke. Schon deshalb, weil er nicht mehr ganz neu und mehrfach widerlegt ist. Dasselbe Argument wurde jahrelang gegen das Offenhalten der Geschäfte am 8. Dezember sowie gegen den langen Einkaufssamstag ins Rennen geschickt. Wir wollen das hier nicht weiter polemisieren, die Bedarfsfrage wird ohnehin jeden Samstagnachmittag in der Wiener Innenstadt bzw. in den am Sonntag offenen Lebensmittelketten hinreichend geklärt.

Und falls es tatsächlich keinen großen Bedarf geben sollte, wird sich die Ladenöffnung am Sonntag ohnehin bald von selbst erledigt haben. Es sperrt nämlich genau niemand sein Geschäft auf, um kein Geschäft zu machen. Das werden vermutlich auch Kammerfunktionäre wissen.
„Am siebten Tag sollst du ruhen.“ Da werden wir also plötzlich wieder katholisch. In einem Land, in dem laut einer Imas-Umfrage nicht einmal die Mehrheit der Katholiken an Gott glaubt, ist die biblisch verordnete Sonntagsruhe strikt einzuhalten. Jene, die das wollen, können das auch ganz einfach tun. Etwa, indem sie sonntags niemals einen der offenen Billa-Läden betreten, schon gar nicht Skilift fahren, samstags keinesfalls auf das Auftanken des geliebten Autos vergessen, das Schnitzel gefälligst selber zubereiten (oder noch besser: von der Frau kochen lassen), sich nur wochentags ausrauben lassen (wie kommen schließlich Polizisten dazu, am siebten Tag der Woche Dienst zu schieben?) und freilich ausschließlich von Montag bis Samstag 18 Uhr krank werden.
•„Manmuss nicht alles mitmachen, nur um der Wirtschaft steigende Geschäfte zu bescheren.“ Nein, muss man eh nicht. Das ist auch der Kern der Debatte: Nicht alle müssen aufsperren, sie sollen vielmehr die freie Wahl haben, also dürfen. Etwa, wenn sich Arbeitgeber mit Arbeitnehmern auf akzeptable Bedingungen einigen und sie es dann noch immer für lukrativ halten.
•„Der Ladenschluss schützt die kleinen Geschäfte.“Ja, ja... Und weil das so ist, gehören die Marktanteile der großen Handelsketten in Österreich als Land mit den am strengsten limitierten Öffnungszeiten ja auch zu den höchsten in Europa. Wahr dürfte das genaue Gegenteil sein: Wenn kleine Geschäfte flexibel öffnen dürfen, könnten sie ihre Chancen besser nützen und leichter überleben. Das funktioniert übrigens auf der ganzen Welt.
„Der offene Sonntag belastet die Familie und die sozialen Kontakte.“ Vermutlich das beste Argument. Aber noch einmal: Österreich fällt trotz des streng geschütztem Sonntags nicht gerade mit einer niedrigen Scheidungsrate auf. Zudem werden nicht gleich Hunderttausende zwangsweise an ihren Arbeitsplatz gezerrt. Und es wird wohl auch niemand behaupten, die rund 673.000 Österreicher, die heute schon sonntags regelmäßig arbeiten, wären sozial verstörte Menschen und Familien-Zerstörer. Es zählt zu den großen Geheimnissen, warum in Wien nicht gelingen soll, was in Tourismusgemeinden wie Zell am See, Pörtschach oder Lech an den Sonntagen in der Saison klaglos funktioniert.
„Die Mehrheit der Bürger will es nicht.“ Das könnte stimmen. Die Mehrheit der Bürger wäre aber vermutlich auch für dafür, Besserverdienern deutlich mehr als die Hälfte ihrer Einkommen abknöpfen zu lassen. Die Mehrheit hält nämlich gemeinhin nicht sehr viel von Minderheiten. Darum werden Letztere in zivilisierten Gesellschaften auch geschützt. Und genau darum geht es: Wenn sich eine Minderheit von Geschäftsleuten und Handelsangestellten darauf verständigen sollte, am Sonntag zu arbeiten, sollten sie das auch tun dürfen.

Der Staat hat nämlich kein Recht, Bürger für unmündig zu erklären und ihnen die Vertragsfreiheit zu nehmen.

Euro '08: Ein bisschen Sonntagsöffnung Seite 19


franz.schellhorn@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2007)

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