Frau Winter und andere gefährliche Islamisten

Was die FPÖ nicht weiß: Der Vorzug Europas liegt im Respekt vor jedem Menschen – egal, woran er glaubt.

Es ist das alte Spiel: Man verdreht etwas so, dass es als Frechheit daherkommt, aber einen mit großzügiger Deutung irgendwie doch historisch halbwegs belegbaren Kern hat (soweit im aktuellen Fall irgendwas historisch sein kann, da wir über Mohammed nur aus Rekonstruktionen einer verschollenen Biografie eines drei Generationen später lebenden Chronisten Bescheid wissen). Dann kommt die empörte Reaktion, und dann sagt man: Schaut her, wie diese Leute mit unbequemen Wahrheiten umgehen! Das funktioniert wunderbar, wie auf Knopfdruck. Und erzeugt den Eindruck einer Gefahr für unsere Meinungs- und Redefreiheit. Im Sinne von: Wenn man nicht einmal mehr sagen darf, was stimmt ...

In Wirklichkeit sind es gerade solche Aktionen wie die der FP-Frau Winter, die unsere Redefreiheit gefährden. Schon deshalb, weil Redefreiheit nur dann funktioniert, wenn sie nicht über Gebühr ausgereizt wird. Wer in der Tiefe seines Herzens wiederholt und grundlos verletzt wird, wird irgendwann den Staat um Hilfe rufen, schärfere Gesetze verlangen. Es gibt Menschen, die schon zutiefst getroffen sind, wenn jemand nur behauptet, die Netrebko sei überschätzt. Dabei ist das nur Musik. Glaubensdinge, das heißt Liebesangelegenheiten, gehören hingegen zu den schmerzempfindlichsten Punkten der Seele.

Winter & Co. sind aber darüber hinaus bedrohlich. Denn ihre Aktionen, so sehr sie auch einem überzogenen Bedrohungsgefühl entspringen und auf ein ebenso unrealistisches Feindbild abzielen, verschärfen das wirklich vorhandene Drohpotenzial des Islam. Mit dem ist es nämlich ein wenig so, wie es Woody Allen in anderem Zusammenhang ausgedrückt hat: Nur weil du Verfolgungswahn hast, heißt das nicht, dass sie nicht trotzdem hinter dir her sind.

Der Islam hat nämlich eine für unser zivilisatorisches Modell ungemütliche Kerneigenschaft, die mit sechsjährigen Bräuten nichts zu tun hat: Volle Menschenwürde und damit volles politisches Mitspracherecht hat dort nicht der Mensch kraft seines Menschseins (oder seiner Gotteskindschaft, wie es etwa das Christentum sagt), sondern der Gläubige aufgrund seines Glaubens als Muslim. Wie der Doyen der heimischen Politikwissenschaft, Heinrich Schneider, in seinem lesenswerten Buch „Der christlich-muslimische Dialog“ (Böhlau Verlag) schreibt, ist das ein definitiver Unterschied zwischen den Religionen – aber er weist ebenso darauf hin, dass in beiden Religionen dieser Unterschied in vielen Abstufungen gelebt wird.

Das Christentum ist jedenfalls von seiner Grundverfasstheit her mit einer pluralistischen Zivilgesellschaft, die den Gläubigen ihr Glaubensleben lässt, es aber nicht zur Norm für die Allgemeinheit macht, kompatibler als der Islam. Das ist auch schon aus den Anfängen her sichtbar – mit einem Christentum, das im römischen Staat bloß um Duldung und nicht um Hegemonie ringt (Paulus: „Betet besonders für alle, die in Regierung und Staat Verantwortung tragen, damit wir in Ruhe und Frieden leben können“), und einem Islam, der von Beginn an die politische Dominanz anstrebt.

Faszinierend ist, dass gerade in Europa beide Religionen bewiesen haben, dass sie durchaus beharrlich im Widerspruch zu der ihr eigentlich angestammten Theorie leben können: das herrschaftlich auftretende Christentum und dann – seit dem Rückzug der Osmanen – die große Zahl sich friedlich ins säkulare Umfeld einfügender islamischer Gemeinden. Derzeit scheint wieder einmal eine Metamorphose stattzufinden: Diesmal nimmt das Säkulare in Europa zunehmend staatsreligiöse Züge an. Und die Zuwanderer bringen einen in Europa seit Kara Mustafa ungekannten politischen Anspruch des Islams mit. Gegen beides ist aber nicht nur der Rest des europäischen Christentums ein letztes Bollwerk, sondern auch der Rest des europäischen Islams.


Gerade der europäische Islam kann eine moderierende, „europäisierende“ Wirkung auf seine hereinströmenden Glaubensbrüder entfalten. Aktionen wie die der Grazer FPÖ bedrohen diese zukunftsentscheidende Vermittlungsarbeit. Weil sie den Moslems nicht auf der Sachebene entgegentreten, sondern ihnen dort wehtun, wo sie als friedliche Bürger in ihrem Schmerz ohnmächtig sind: in ihrer Frömmigkeit und Ehre. Mit solcher Rüpelhaftigkeit verleidet man das europäische Modell gleichermaßen alteingesessenen wie neu hinzugekommenen Moslems. Wenn sich Europa durch die Idee der allgemeinen Menschenwürde (und damit des allgemeinen Menschenrespekts) auszeichnet, dann sollte man diese nicht gerade den Moslems verweigern.

Die neue Islam-Debatte Seiten 1 bis 3


michael.prueller@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2008)

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