Brennende Ukraine: Wenn die Ordnung des Terrors wuchert

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Für das derzeitige Abgleiten der Ost- und Südukraine in Chaos und Gewalt gibt es viele Verantwortliche: in Kiew, in Moskau und in Rostow am Don.

Eine Ordnung durch Rechtsstaatlichkeit hat der Osten der Ukraine in seiner Geschichte noch nie, oder jedenfalls nie sehr lang erlebt. Nicht im noch jungen 21. Jahrhundert, schon gar nicht im 20. Jahrhundert und auch nicht davor. Seit ein paar Wochen herrscht in zahlreichen Städten nun wieder die Ordnung des Terrors, symbolisiert durch die seit der russischen Annexion der Krim berühmten „grünen Männchen“. Von wegen „Männchen“: Meistens sind es bullige Vierschröter, die alle ausschauen, als hätte man sie in Boxschulen rekrutiert.

Und so führen sie sich in Städten und Ortschaften, die die prorussischen Aktivisten unter ihre Kontrolle gebracht haben, auch auf. Passanten werden ausgeraubt, Geiseln genommen; einige ihrer Gegner verschwanden spurlos, bis sie als Leichen mit schweren Folterspuren wieder auftauchten. Dabei besteht kein Zweifel, das melden auch westliche Berichterstatter aus der Region: Ein Teil der Bevölkerung der Ostukraine steht hinter dieser Soldateska und ihrem Tun. Ob es die Mehrheit ist, weiß man nicht, weil die proukrainisch Gesinnten sich in diesem Klima der Gewalt kaum offen dazu bekennen werden.

Inzwischen scheint ein offener Bürgerkrieg in der Ost- und Südukraine, der mit einer Spaltung des Landes enden wird, nicht mehr undenkbar. Die Unverletzlichkeit europäischer Grenzen ist offenkundig seit der Annexion der Krim Schnee von gestern. Werden russische Truppen deshalb bald die westlichen Grenzen ihres Landes überschreiten und in die Ostukraine einrücken? Ein Krieg gegen die ukrainische Armee und dann ein jahrelanger Partisanenkrieg wären die Folge. Moskau weiß aus den Erfahrungen der Nachkriegszeit in der Westukraine, wie hoch die Kosten eines solchen Guerillakrieges sind.

Wie aber konnte es innerhalb weniger Wochen so weit kommen? Es ist unbestreitbar, dass die provisorische Regierung in Kiew nach der Entmachtung von Viktor Janukowitsch überfordert war, die fragile Situation in der Ost- und Südukraine nicht sah beziehungsweise nicht sehen wollte und deshalb eine Reihe politischer Fehlentscheidungen getroffen hat. Es ist ebenso klar, dass Russland diese Situation weidlich ausnützt, um den ungeliebten neuen Machthabern in Kiew eins auszuwischen. Wahrscheinlich beherrscht kein Geheimdienst der Welt die Taktik der Verunsicherung, Zersetzung und Unterminierung so gut wie der russische. Wie das alles gelaufen ist, wird man wohl erst in Zukunft erfahren – oder Präsident Putin plaudert einmal in einer Fernsehshow offen darüber.

Sicher ist weiters, dass auch der nach Russland geflohene Janukowitsch und seine Clique von Rostow am Don aus kräftig den Aufruhr mitschüren. Sie stammen aus der Ostukraine, sie waren im Donbass seit zwei Jahrzehnten die Oberbosse, und ihre dortigen Netzwerke sind noch intakt. Inwiefern die Janukowitsch-Clique autonom handelt oder ob auch sie von Moskau aus gesteuert wird, kann nur spekulativ beantwortet werden.

Das unmittelbare Problem für die wuchernde Ausbreitung von Chaos und Gewalt in der Ost- und Südukraine aber ist der katastrophale Zustand der ukrainischen Sicherheitskräfte – sei es die Polizei oder das Militär.

Die ukrainische Polizei galt schon immer als besonders korrupt. Das hängt auch mit ihrer schlechten Bezahlung zusammen. Von oben wurde akzeptiert, dass die Polizisten auf eigene Faust ihr mickriges Gehalt aufbesserten – durch Erpressung, Nötigung, Betrügereien. Die ukrainische Polizei war auch immer eine Regimepolizei. Als dieses Regime verjagt wurde, stand sie plötzlich ohne Befehlshaber da. Die einzige Einheit, die für den Kampf gegen den Terror ausgebildet war, wurde nach dem Blutbad auf dem Maidan aufgelöst (derselbe Fehler, den die Amerikaner 2003 im Irak machten).

Jetzt muss die neue Führung in Kiew zusehen, wie unberechenbar die Polizei in vielen Situationen agiert und wie sie das Chaos eher vergrößert als eindämmt. Die Armee muss gegen die Separatisten kämpfen. Man kann sich schon ausmalen, wie die ostukrainischen Städte nach diesen Einsätzen aussehen werden. Die Bilder, wie Grosny 1994 und 1999 ausgesehen hat, sind noch gut in Erinnerung.

E-Mails an:burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2014)

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