Der Justizminister macht gute Vorschläge zur Verbesserung der Arbeit der Justiz. Mögliche Einwände bei der Begutachtung sollte er aber ernst nehmen.
Mit seinem ersten großen Gesetzesvorhaben im Strafrecht legt Justizminister Wolfgang Brandstetter einen eindrucksvollen Start hin: Das Reformpaket zur Strafprozessordnung enthält Lösungsvorschläge für eine Reihe von Problemen, die der Justiz schon länger zu schaffen machen und die ihrem Ansehen massiv schaden. Vor allem will er die enorme Dauer der spektakulärsten Wirtschaftsstrafverfahren – man denke nur an die Fälle Libro oder YLine, in denen sich die Ermittlungen deutlich über zehn Jahre hinzogen – begrenzen, auch im Interesse der Betroffenen. Die dürfen sich schon aus Gründen des menschenrechtlich garantierten fairen Verfahrens eine zügige Erledigung ihrer Fälle erwarten. Überhaupt will Brandstetter die Position des Einzelnen gegenüber der Strafgerichtsbarkeit verbessern. Aber gerade dem Einzelnen droht – in Gestalt des neuen Mandatsverfahrens, das per Post enderledigt wird – die größte Gefahr.
Problemfeld Nummer eins sind für Brandstetter aber die zu langen Verfahren. Nach seinem Plan sollen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ab 1. Jänner 2015 nur noch maximal drei Jahre dauern; nur dann, wenn die Staatsanwaltschaft dem Gericht erklären kann, warum sie noch länger braucht, kann diese Frist um jeweils zwei Jahre verlängert werden. Dass die Beschleunigung wirkt, wird man aber eher erhoffen müssen als rechtlich durchsetzen können. Denn die Dauer in einem weiteren Verfahren prüfen zu lassen, in dem sich das Gericht durch jene Aktenberge wühlen muss, die den Staatsanwalt vielleicht überfordert haben, kann dauern.
Durchwegs positiv sind vier weitere Maßnahmen zu sehen, mit denen Brandstetter auf Fehlentwicklungen reagiert. Er will den aus Kostengründen eingesparten zweiten Berufsrichter für schwerere Fälle im Schöffengericht wieder einführen. Wenn dieser zweite Richter seine Aufgabe ernst nimmt, kann er wesentlich dazu beitragen, das Verfahren effizient und fehlerfrei zu führen. Zweitens: Da die Verteidigung bessere Möglichkeiten bekommen soll, an der Auswahl des Sachverständigen im Ermittlungsverfahren mitzuwirken, und künftig auch Privatgutachten ins Hauptverfahren einbringen kann, wird ein schwer erträgliches Ungleichgewicht zwischen Anklage und Verteidigung ausgeglichen. Drittens: Wer freigesprochen wird, hat Chancen, einen größeren Teil seiner Verteidigungskosten ersetzt zu bekommen. Und: Nicht jeder, gegen den die Staatsanwaltschaft aufgrund welchen Hinweises auch immer ermittelt, ist künftig ein „Beschuldigter“, der rasch am Medienpranger steht. Gleichsam als Vorstufe gibt es den „Verdächtigen“ – nur ein Zeichen, aber ein richtiges.
Aus heiterem Himmel kommt der Vorstoß, für weniger schwere Fälle das im Jahr 2000 abgeschaffte Mandatsverfahren wieder einzuführen. Dabei soll es Verurteilungen – mit allen negativen Folgen einer Vorstrafe – geben, ohne dass Richter und Angeklagter einander je gesehen haben; neuerdings nicht bloß mit Geld-, sondern auch mit Gefängnisstrafen bis zu einem Jahr. Die Vereinfachung für die Gerichte liegt darin, statt Hauptverhandlungen nur noch Akten zu führen, und ist sicher beachtlich. Aber der Preis ist hoch: Es mag zwar ge- und verständige Täter geben, die sich der Tragweite bewusst sind, wenn sie eine Verurteilung per RSa-Brief akzeptieren (was niemand muss). Viele werden den Ernst der Lage aber nicht erkennen, wenn sie nicht einmal vor Gericht standen. Und: Die Gefahr ist groß, dass im Verborgenen Absprachen getroffen werden. So könnte ein U-Häftling mit der Aussicht, frei- und bloß mit einer Fußfessel davonzukommen, etwas gestehen, dessentwegen er sonst nicht verurteilt werden könnte.
Solche Absprachen sind immer heikel, weil sie die Wahrheit zur Vereinbarungssache machen. Ganz besonders sind sie es aber, wenn sie unkontrolliert und intransparent ablaufen. Vielleicht sollte sich Brandstetter ein Beispiel an Deutschland nehmen, wo es für solche Deals ein Verständigungsgesetz mit strengen rechtsstaatlichen Kautelen gibt. Auch in anderen Ländern haben sie sich als Mittel im Kampf gegen die große Wirtschaftskriminalität als unerlässlich erwiesen. Vielleicht sollte Brandstetter auch darüber nachdenken, statt Fristen mit zweifelhafter Wirksamkeit einzuführen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2014)