Tolerantes Österreich, verzopftes Österreich

SONG CONTEST 2014: CONCHITA WURST AM FLUGHAFEN WIEN
SONG CONTEST 2014: CONCHITA WURST AM FLUGHAFEN WIEN(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Österreich war vor dem Songcontestsieg nicht so rückständig, wie manche behaupten. Und ist danach nicht so weltoffen, wie viele schreiben.

Da schau her, das ist aber schnell gegangen. Bis vor Wochenfrist war Österreich noch in den internationalen Schlagzeilen, weil sich laut einer aktuellen Studie jeder Dritte einen starken Führer wünscht (was sich wunderbar als Verlängerung der Debatte um die unseligen Aussagen des Andreas Mölzer eignete). Und nun gelten wir nach dem Sieg von Thomas Neuwirth alias Conchita Wurst beim europäischen Wettsingen in Kopenhagen auf einmal als Vorzeigeland für Weltoffenheit, Toleranz und frei gestaltete Lebensentwürfe. Als Draufgabe sind wir noch zur Rolle als Gegenentwurf zum finsteren Putin-Russland gekommen. Ein bisserl wie die Dragqueen zum Kind freilich.

Das ist alles natürlich genauso wahr, wie es völlig falsch ist. Wobei speziell der Russland-Aspekt schon zum Lachen ist: Nach den Anbiederungsversuchen heimischer Repräsentanten rund um die Olympischen Spiele in Sotschi (und natürlich wärmen wir hier auch gern wieder die peinliche Nichtpräsenz beim Nelson-Mandela-Begräbnis in Südafrika ein paar Wochen davor auf) muss man schon sehr genau darauf achten, wer sich von der Staatsspitze abwärts jetzt den Wurst-Widerstandsbutton am Bande an die stolzgeschwellte Brust zu heften versucht.

Bevor auch hier ein urösterreichischer Fehler gemacht wird, nämlich einen ausschließlich höchstpersönlichen Erfolg kollektiv zu vereinnahmen, sei ausdrücklich festgehalten: Das Auftreten von Neuwirth/Wurst auf und abseits der Bühne, die Authentizität der Lebensgeschichte, die Kreation der Kunstfigur nötigen größten Respekt ab. Österreich hätte sich keinen besseren Vertreter wünschen können. Der auch das Glück hatte, mit seinem Konzept genau zur richtigen Zeit am richten Ort zu sein. Solche Erfolge und solche Wirkungen müssen passieren, planen kann man sie nicht.

Apropos urösterreichisch: Wer in die Kritik einfällt, wie typisch es für dieses Land sei, wegen des Sieges bei einer halblustigen Veranstaltung so begeistert zu sein, der möge sich den Hype in unserem Nachbarland in Erinnerung rufen, als Lena Meyer-Landrut 2010 für Deutschland den Songcontest gewinnen konnte. Bis zur Austragung der Veranstaltung ein Jahr später dauerte die kollektive Begeisterung an. Auch in dieser Hinsicht reagiert Österreich ziemlich normal. Nur gewinnen wir seltener.

Ganz abgesehen davon aber ist es schon überraschend (und vor allem sehr erfreulich), dass Österreich nun in ganz Europa plötzlich als Blaupause für eine offene, moderne, mutige Gesellschaft taugt, in der man sich etwas traut und mit Witz und Intelligenz auf Ausgrenzung reagiert. Denn nach vielen Jahren der Prügel, in denen Österreich als Land beschrieben wurde, das seine Lektionen aus seiner Geschichte nicht gelernt habe, das ohne EU-Sanktionen seinen Weg innerhalb der Staatengemeinschaft nicht finde, als die Heimat der Fritzls und Priklopils, nehmen viele nun erstaunt und erleichtert zur Kenntnis, dass man auch eine ganz andere Geschichte erzählen kann. Und erzählt.

Die Geschichte über ein Land, in dem sich mit dem Life Ball die weltgrößte Aids-Charity schon zu einer Zeit etablieren ließ, als das noch alles andere als selbstverständlich war. Ein Land, in dem besonders auch Menschen mit anderer sexueller Orientierung gern und überproportional Urlaub machen, weil sie sich hier wohl und akzeptiert fühlen. Ein Land der Kunst und Kultur. Nicht nur als Reminiszenz an klassische Epochen, sondern auf der Höhe der Zeit. Man denke etwa nur an die jüngst mit Preisen überhäuften Schöpfungen österreichischer Filmschaffender.


Insofern eignet sich das so widersprüchliche und für viele so schwer zu ertragende Bild einer Frau mit Bart, die einfach ein Mann in Frauenkleidern ist, nur allzu gut als Chiffre für Österreich. Ein Land mit vielen widersprüchlichen Facetten.

Es steht allen frei, sich öfter mit den positiven Seiten auseinanderzusetzen. Und die negativen Seiten anzunehmen und zu verändern. Denn: Wenn man nur will und offen ist, kann man sogar beim Songcontest noch etwas lernen.

E-Mails an: florian.asamer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2014)

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