Endlich gute Nachrichten: Europa wählt sein Parlament

'Diskussion der Spitzenkandidaten zur EU-Wahl' 2014:
'Diskussion der Spitzenkandidaten zur EU-Wahl' 2014:(c) ORF
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Niedrige Wahlbeteiligung mit hohem Proteststimmenanteil bei stabilen Verhältnissen in der Mitte: Die EU ist trotz Megakrise eine reife Demokratie.

Diesmal fragt er nicht uns, sondern wir fragen zur Abwechslung einmal ihn: Hausverstand, wie wird sich die größte Krise der Europäischen Union seit ihrer Gründung wohl auf die Wahlbeteiligung auswirken? Die dürfte wohl eher sinken.

Und, Hausverstand, wie wird diese Krise, die beinahe den Kollaps der Gemeinschaftswährung Euro zur Folge gehabt hätte und die europäischen Steuerzahler samt Hypotheken für seine Urenkerln Fantastilliarden gekostet hat, sich auf die Chancen von kandidierenden Euroskeptikern und populistischen Proteststimmenfängern auswirken? Die werden wohl eher steigen.

Und wird das eher ein Zeichen von Demokratieverdrossenheit (was immer das eigentlich sein mag) oder genau das Gegenteil sein? Hmmh.

Während der Hausverstand noch ein wenig nachdenkt, wollen wir ihm ein paar Argumente liefern. Nie in der Geschichte hätte es mehr Grund gegeben, der EU den Rücken zu kehren als nach der eben zu Ende gegangenen Legislaturperiode. Seit den Europawahlen im Jahr 2009 stand am Firmament über dem Alten Kontinent durchgehend in Versalien das Wort KRISE wie sonst nur die Kondensstreifen von Passagierflugzeugen.

Die Staats- und Regierungschefs, der Kommissionspräsident und alle EU-Organe haben ihre Funktionszeit jedenfalls in einer Art Dauerkrisensitzung abgeleistet. Die Probleme, die dabei ans Licht gekommen sind, waren und sind selbst für glühende Europabefürworter dazu angetan, sich und anderen ein paar grundsätzliche Fragen zu stellen. Was die Verbindlichkeit der Unionsregeln angeht zum Beispiel, wie sehr alle 28 Mitgliedstaaten mitgefangen sind, wenn sich ein paar Budgetsünder hängen lassen. Und wie oft sich herausgestellt hat, dass es überhaupt nur ein paar Länder gewesen sind, die sich noch an die Regeln gehalten haben.

Kurz vor der Wahl zum europäischen Parlament morgen, Sonntag, sind inzwischen die ersten Staaten wieder unter dem dunkelblauen Rettungsschirm mit den gelben Sternchen hervorgekrochen. Die Nachwehen der Krise sind bei Weitem nicht überwunden, aber man kann inzwischen auch schon sagen: Die schlimmsten Szenarien, und davon gab es genügend, sind nicht eingetreten.

Lässt man aber unter diesen Voraussetzungen den EU-Wahlkampf Revue passieren und spürt der Stimmung im Land und auf dem Kontinent nach, kommt man zu einem unaufgeregten Befund: Das Interesse der Wahlberechtigten an der Wahl entspricht in etwa dem, was man in unseren Breiten so kennt. Dass sich gerade in Österreich der Enthusiasmus in Grenzen hält, wo nach Bundesheervolksbefragung, Nationalratswahlen und drei Bundesländervoten viele Menschen sich bereits zum vierten Mal innerhalb weniger Monate zur Stimmabgabe aufmachen sollen, ist wenig verwunderlich.

Und zum permanenten Gerede über die Demokratiemüdigkeit: Man soll doch nicht immer so tun, als würde der Wahlgang in reifen Demokratien den Wahlberechtigten weiß Gott was für Vorbereitungen abverlangen. Man gibt seine Stimme ab: oft intuitiv, manchmal aus Sympathie für bestimmte Kandidaten, immer seltener wegen einer festen Verpflichtung der einen Partei gegenüber.

Das ist bei der EU-Wahl nicht anders. Viele werden erst spät entscheiden, ob sie hingehen. Und ja, auch das Wetter wird wieder eine Rolle spielen. Der mit besorgter Miene vorgebrachte Hinweis, in der Ukraine wäre man froh, könnte man unter solchen Bedingungen wählen, erinnert ein bisschen an die Ermahnung von Kindern, sie mögen bitte aufessen, weil anderswo Menschen verhungern.

Nach ein wenig Nachdenken wird der Hausverstand nämlich zu einem durchaus ermutigenden Befund kommen: Die europäische Demokratie ist so reif, stark und gefestigt, dass man auch nicht wählen gehen kann. Ohne gleich die Systemfrage zu stellen. Und obwohl die Protestparteien, vor allem jene am rechten Rand, überdurchschnittlichen Zuspruch bekommen werden (wann, wenn nicht nach der Megakrise?), wird die breite Mitte in der Mehrheit sein. Lasst Europa ruhig wählen!

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E-Mails an:florian.asamer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2014)

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