Who the Hell Is Europe?

GERMANY EU ELECTIONS
GERMANY EU ELECTIONS(c) APA/EPA/UWE ANSPACH
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Der Machtkampf um die Bestellung des neuen EU-Präsidenten ist unschön. Die dahinter liegende Richtungsentscheidung müssten die Wähler treffen.

Nach dem Wiener Journalisten-Freundeskreis entdecken nun heimische Politikgrößen den Charme der schnellen Kurzmeinung: „Who the hell is Cameron – hasn't he just lost elections?“, twitterte Umweltminister Andrä Rupprechter, der sich selten um PR-Konventionen schert, ohne lästige Punktsetzung. Wenig später löschte er es wieder, ein kurzer Ärger habe ihn dazu getrieben. Fluchen sollte ein Herz-Jesu-Unterinntaler sowieso nicht. Hannes Swoboda kommentierte den Machtkampf etwas subtiler, aber nicht minder gemein: „Ist Juncker so schwach, dass er nicht einmal seine eigenen Leute davon überzeugen kann, ihm die Position des EU-Kommissionspräsidenten anzubieten?“

Die Wortmeldungen passen ins Bild eines unwürdigen, intriganten Machtkampfes der EU-Regierungschefs am und um den EU-Gipfel. Selten zuvor erfüllten die Herrschaften und Angela Merkel so sehr das Klischee des undemokratischen Machtspiels im altrömischen Stil, das Rechtspopulisten gern strapazieren und für dessen Darstellung sie regelmäßig kritisiert werden. Vor der Wahl erfolgte von den Europäischen Volksparteien und den Sozialdemokraten die Festlegung, dass derjenige Kommissionspräsident werde, der die Fraktionsmehrheit habe. Die EVP-Regierungschefs nominierten Juncker öffentlich.
Nun wollen einige dieses Versprechen brechen, allen voran der britische Premier David Cameron, hinter ihm nicht sehr gut versteckt Angela Merkel, die mit der Kür Junckers einen klaren Präzedenzfall sehen, dass Regierungschefs keinen direkten Einfluss auf die Wahl des Kommissionspräsidenten haben. Was aus Sicht der EU-kritischen Briten zwar verständlich sein mag, aber als breite Intervention erst nach der Wahl zu denken gibt. Es geht in diesen Tagen offenbar vor allem darum, die eigene Position auszubauen, möglichst gute Kommissarsposten herauszuschlagen und den künftigen Präsidenten sowie das EU-Parlament nicht zu stark werden zu lassen.

Wie überhaupt der EU-Wahlkampf angesichts der Debatte um Juncker im Rückblick verlogen wirkt. Weder wurde da substanziell über die künftige Finanzpolitik debattiert noch über den zentralen Punkt an sich, der nun die Herren Cameron und Juncker trennt: Soll Europa weiter zusammenwachsen? Oder treten wir nach Griechenland und Co. auf die Bremse, definieren den Status neu und ziehen einige der vermeintlichen Errungenschaften wieder zurück? Junker steht für das eine, Cameron (aber auch vernünftigere, etwa manche Skandinavier) für das andere Europa, selbst wenn sie beide ideologisch wirtschaftspolitisch nicht so weit voneinander entfernt sind.

Diese Entscheidung müssten aber die Wähler treffen: entweder in Volksabstimmungen oder zumindest bei einer echten europäischen Kommissionswahl mit den entsprechenden Namen auf dem Stimmzettel. Soll die Integration Europas in Richtung Vereinigte Staaten weitergehen?

So wie der Prozess Europa jetzt aufgesetzt ist, funktioniert es jedenfalls sicher nicht: Halb aneinander gekettet ist entweder zu viel oder zu wenig. Wer glaubt, eine echte gemeinsame Währungspolitik mit den dazugehörigen gemeinsamen, für Österreich schmerzlichen Anleihen sei ohne eine echte Finanz- und Steuerunion (mit der Möglichkeit, einzelne Mitglieder im Notfall verabschieden zu können) möglich, der irrt. Das ging in den Chaostagen um die drohende Pleite Südeuropas so irgendwie, als Angela Merkel de facto allein entscheiden konnte und musste, kann aber kein tragfähiges Modell für die Zukunft sein.

Ein kritischer Leser beklagte sich darüber, dass die für ihn unterschiedlichen Begriffe Christdemokraten und Konservative durcheinandergebracht würden. Ich argumentierte, dass „konservativ“ keine Herabsetzung darstelle und „Christdemokrat“ eine begriffliche Wunschvorstellung bilde. Dank des Junckers-Streits wissen wir nun: Es gibt die Unterscheidung plötzlich, die Christdemokraten (und mit ihnen viele sozialdemokratische Regierungschefs wie Werner Faymann) scharen sich hinter den demokratisch einigermaßen legitimierten Juncker und das EU-Parlament, Konservative wie Cameron wollen diese Veränderung aufhalten. Dieser Streit um (Mr.) Europa wird die Rechte auf dem Kontinent spalten. Und wohl die gesamte Union nachhaltig.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2014)

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