Der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Ort

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Mit seiner Totalopposition gegen Jean-Claude Juncker an der EU-Spitze ist der britische Premier David Cameron sehenden Auges ins Unglück gelaufen.

Um gleich vorweg alle etwaigen Missverständnisse auszuräumen: Ein Austritt Großbritanniens aus der EU wäre so ziemlich das Schlimmste, was Europa passieren könnte. Die Briten mögen zwar unbequeme Weggefährten sein, doch ihre Weltoffenheit und liberale Grundgesinnung würden der Union schmerzhaft fehlen – von London, der einzigen europäischen Metropole von Weltrang, ganz zu schweigen. Wer nicht will, dass der Kontinent zu einem Verein der nationalen Schrebergärtner verkommt, muss alles daransetzen, den „Brexit“ zu verhindern.

Doch mittlerweile lässt sich dieser größte anzunehmende Unfall nicht mehr ausschließen. Und die Hauptschuld daran trägt ausgerechnet jener Mann, der in schöner Regelmäßigkeit erklärt, wie wichtig ihm die EU-Mitgliedschaft seines Landes sei – der britische Premier, David Cameron. Hinter dieser gebetsmühlenartig wiederholten Floskel erstreckt sich ein Trümmerfeld aus vertanen Chancen und unnötigen Fehlern, von denen der Abwehrkampf gegen Jean-Claude Juncker an der Spitze der EU-Kommission nur das jüngste Beispiel ist. Mit seiner Fundamentalopposition gegen den Spitzenkandidaten der EVP ist Cameron das Kunststück gelungen, so ziemlich alles falsch zu machen, was falsch gemacht werden konnte. Ob es Hochmut oder Unfähigkeit war, die ihn sehenden Auges ins Unglück laufen ließ, lässt sich schwer eruieren. Klar ist allerdings, dass der Brite in den vergangenen Wochen drei strategische Fehlentscheidungen getroffen hat.

Camerons erster Fehler war die öffentliche Ablehnung Junckers. Hätte er das Ergebnis der Europawahl coram publico „zur Kenntnis genommen“ und erst hinter verschlossenen Türen klargemacht, den Luxemburger nicht an der Spitze der Brüsseler Behörde haben zu wollen, hätte er eine gute Verhandlungsbasis für inhaltliche Zugeständnisse gehabt, um die es ihm angeblich geht. Nun steckt Cameron in einer Sackgasse fest: Gelingt es ihm nicht, Juncker zu verhindern, steht er als Versager da. Und das unabhängig davon, welche Zuckerln er für Großbritannien noch herausholen kann. Schafft er es aber, Juncker abzusägen, wird er diesen Erfolg mit seinem gesamten politischen Kapital bezahlen müssen – und dann bleibt ihm kein Einsatz für den Poker um EU-Reformen.

Die Unkenntnis der öffentlichen Stimmungslage war der zweite Fehler. Vermutlich wird Cameron spekuliert haben, dass die Brüsseler Personalien die Briten nicht genug interessieren, um sich darüber zu empören. Doch leider hat er seine Rechnung ohne die britischen Boulevardmedien gemacht, die ihre besten Paparazzi nach Luxemburg entsandt haben, um Juncker ein Lady-Diana-Treatment zu verpassen. Dank „Sun“ und Konsorten glauben die Durchschnittsbriten nun zu wissen, dass der Spitzenkandidat ein Säufer, Lügner und verkappter Nazi ist. Dieser mediale Schaden lässt sich nicht wiedergutmachen.


Die einzige Person, die Cameron noch retten kann, ist Angela Merkel– und diese Abhängigkeit ist sein Fehler Nummer drei. Denn Cameron hat die Situation in Deutschland falsch eingeschätzt, wo – anders als in Großbritannien – die Europawahl ernst genommen wurde. Es stimmt, dass Merkel fast alles machen würde, um Großbritannien in der EU zu halten. Doch ihren innenpolitischen Rückhalt wird sie nicht aufs Spiel setzen. Daher die dezidierte Betonung beim gestrigen Treffen mit Cameron und den Regierungschefs Schwedens und der Niederlande, dass Juncker ihre Unterstützung habe – auch wenn die Bundeskanzlerin von dem Spitzenkandidatenprinzip im Allgemeinen und Juncker im Besonderen wenig hält.

London kann nur noch hoffen, dass Merkel Juncker dazu bringen kann, sich „freiwillig“ aus dem Rennen zurückzuziehen. Ob der luxemburgische Ex-Premier, den Cameron für einen „Mann der Vergangenheit“ hält, ihr diesen Gefallen tun wird, bleibt abzuwarten. Über die Befähigung Junckers, die EU zu reformieren, lässt sich durchaus streiten. Doch Cameron macht zusehends den Eindruck, der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Als wortgewaltiger Oppositionsführer im ruhigen politischen Fahrwasser würde er vermutlich eine bessere Figur machen.

E-Mails an:michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2014)

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