Wie man Länder in den Abgrund führt

Vivan las Antipodas! - Es leben die Gegenpole
Vivan las Antipodas! - Es leben die Gegenpole(c) ORF
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Vielleicht hilft der politischen Kaste der Blick auf abschreckende Beispiele unseres Zeitalters: Argentiniens langer Abstieg, Japans fehlender Antrieb.

Im Jahr 1914 war Argentinien das Land der Zukunft. Harrods eröffnete in Buenos Aires seine erste Auslandsfiliale. Das BIP pro Kopf lag über dem Deutschlands, Frankreichs und Italiens. Die Bodenschätze, muskulöse Rinder und die dazugehörige Landwirtschaft wirkten wie aus dem Bilderbuch. Ambitionierte europäische Auswanderer konnten sich nicht entscheiden, ob sie besser nach Argentinien oder doch nach Kalifornien ziehen sollten.

Heute hat Argentinien Lionel Messi, aber sonst nicht mehr viel. Das Land wurde 100 Jahre lang konsequent von seiner politischen Elite heruntergewirtschaftet. Es liegt in vielen Daten weit hinter den einst belächelten südamerikanischen Nachbarn. Harrods hat 1998 zugesperrt, und die nächste Wirtschaftskrise lauert schon. Der „Economist“ widmete dem einstigen Hoffnungsland jüngst ein Cover, führte diese Details in der Beschreibung des einzigartigen Niedergangs an. Der schnelle Wechsel zwischen wirtschaftlicher Abschottung, hysterischen Liberalisierungen und falscher, rein innenpolitisch getriebener Finanzpolitik ruinierte das Land. Ein bisschen Substanz ist noch geblieben, aber Länder wie Chile und Uruguay – ja auch Mexiko und Brasilien – haben einen gegenteiligen Weg eingeschlagen. Auch die aktuelle Premierministerin, Cristina Fernández de Kirchner – von der Toskana-Peronisten-Fraktion mit entsprechendem Ego und Lebensstil –, steht in der Tradition der Großspurigkeit und des Scheiterns.

Vergleiche zwischen Ländern sind eine sehr heikle Sache, zu unterschiedlich sind Ausgangslage, Vermögen wie Energiequellen und die politische Kultur. Zu vorschnell viele Urteile. (Das kennen wir von der Schweiz als Vorbild für alles und für jede Partei.) So taugt Argentinien nur bedingt als Warnung an Europa oder Österreich, aber vielleicht werden Bundes- und Vizekanzler beim Seitenblick auf den Nachbarn des WM-Austragungslandes ausnahmsweise nachdenklich. Vielleicht überlegen sie – das ist schon naiv optimistisch – ganz kurz, wie es wäre, über den eigenen Schatten zu springen: in der Bildungspolitik, bei der Geldverschwendung mit der großen Gießkanne, genannt Fö(r)deralismus, bei dem Schuldenberg und den politischen Eitelkeiten. Dass der Großteil Europas und Österreich in fast allen relevanten Parametervergleichen ganz langsam, aber doch nach unten rutscht, kann nun nicht einmal mehr von der PR-Abteilung der genannten Herren geleugnet werden. Hannes Androsch erklärte vor Kurzem bei einer Festansprache sinngemäß: Paradoxerweise stehen wir gut da, aber so eben nicht mehr lange.

Und noch ein abschreckendes Beispiel eines Landes mit völlig anderer gesellschaftlicher und auch wirtschaftlicher Kultur: Japan wurde noch vor 30 Jahren als neue stärkste (Wirtschafts-)Macht auf der Welt gehandelt. Heute glaubt das keiner mehr. „Die Zeit“ widmete vergangene Woche der verlorenen, oder besser: der entschlummerten Jugend ein großes Dossier. Immer mehr Junge lassen in der Wirtschaft und bei der Familiengründung völlig aus. Nach einem Jahrzehnt Deflation muss sich ein Land mit einem völlig neuen Phänomen auseinandersetzen: Es gibt kein Wachstum mehr, viele streben es auch gar nicht mehr an. Die (Groß)Eltern-Generation schafft es gerade noch, den hart erkämpften Wohlstand mit den Kindern aufzubrauchen. Dann ist nichts mehr da.

Auch diese japanische Entwicklung wird in Europa so nicht eins zu eins drohen: Zu dynamisch sind osteuropäische und – in einigen Jahren – wohl auch südeuropäische Länder. Einwanderung wird es auch in Europa im Gegensatz zu Japan weiter geben. Und zu groß ist der Wohlstand dort. Aber: Das Gefühl, dass es nicht mehr so aufwärts gehen wird wie früher, dass es eigentlich nicht mehr viel bringt, sich in Beruf oder Familie aufzuopfern, ist auch hier präsent. Landläufig nennt man diese Stimmung Agonie. Sie hat fast immer nicht nur mit der wirtschaftlichen Lage zu tun, sondern auch mit den Menschen an der Spitze. Stehen sie nicht für Aufbruch, geht es automatisch nach unten. Das muss nicht sein, wir könnten weiter vorn dabei sein.

Buenos Aires galt übrigens einst als die europäischste Metropole der Neuen Welt. Japan als Vorbild für wirtschaftlichen Erfolg und gleichzeitigen sozialen Zusammenhalt.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2014)

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