Wie viel Geheimnis braucht das Land?

(c) FABRY Clemens
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Dass es die Regierung mit der Geheimschutzordnung für das Parlament gar so eilig hat, zeigt: Transparenz ist nichts, was sie will, sondern etwas, was sie sich abringen lässt.

Es war ein aufschlussreicher Moment. Als Irmgard Griss, Leiterin der Hypo-Kommission, vor einigen Tagen im „ZiB2“-Interview sagte, sie selbst – nicht die Regierung oder eine Bank – entscheide, welche Dokumente im Bericht veröffentlicht würden, da wirkte der Moderator kurz überrascht. So etwas ist man in Österreich nämlich nicht gewohnt.

Ein paar Tage später im Parlament folgte eine andere interessante Szene. Als ÖVP und SPÖ einen Vorschlag für neue Geheimhaltungsregeln für die Abgeordneten vorlegten, empörten sich Opposition und Transparenzexperten unisono über die Geheimniskrämerei der Regierung. In der ersten Aufregung entstand sogar das Gerücht eines generellen Twitter-Verbots aus dem Parlament. Das stellte sich dann zwar als falsch heraus, aber dass man es den Regierungsparteien zutraute, kommt nicht von ungefähr. Denn so etwas ist man in Österreich gewohnt.

Was beide Szenen zeigen: wie neu der Umgang mit Transparenz für Österreich ist – und was für ein Tauziehen. Jene, die Information verwalten, wollen Wissen weiterhin in möglichst kontrollierten Dosen abgeben. Und jene, die Information fordern, gehen davon aus, dass man ihnen aus böser Absicht keine geben will. Wie „böse“ die neue Geheimschutzordnung wird, weiß man dabei noch gar nicht. Der erste Vorschlag wurde bereits nach einem Tag abgeändert. Inhaltlich soll die Geheimschutzordnung – angelehnt an existierende Regeln für EU-Dokumente – vor allem den Umgang mit heiklen Akten regeln, also wer im Parlament was wissen darf und wie viel an die Öffentlichkeit dringt. Was im jetzigen Stadium ins Auge springt, sind daher weniger die Details, vielmehr ist es der Zeitpunkt. Denn die Regierung hat es mit dem Geheimnisschutz sehr eilig. Noch bevor das Amtsgeheimnis gelockert, noch bevor der U-Ausschuss ein Minderheitenrecht werden kann, braucht es strengere Regeln für die – offenbar gefährlichen – neuen Freiheiten. Wobei die Verfechter der Geheimhaltungsregeln dieses beinharte Gegengeschäft nett umschreiben. Sie winken mit der Info-Karotte. Ihr Argument: Gäbe es strengere Regeln der Geheimhaltung, könnte man z.B. in einem U-Ausschuss den Mitgliedern auch mehr verraten. Nach dieser Logik wurden Akten bisher v.a. deshalb so ausgiebig geschwärzt, da die Abgeordneten (der Opposition) zu viel ausplauderten. Aber man könnte das Argument auch umdrehen: Da bisher Akten zu rasch das Siegel der Vertraulichkeit aufgedrückt wurde, sah man wenig Grund, sich an diese zu halten.

Denn Geheimhaltung funktioniert nur, wenn ihre Notwendigkeit einleuchtet. Dazu müssen aber die Kriterien der Geheimhaltung transparent sein. Laut Entwurf kann der Ersteller oder Übermittler von Informationen selbst einstufen, wie geheim die Akten sind. Wichtig wird daher sein, wie das Parlament der Einstufung widersprechen kann (vor allem, wenn eine Minderheit den U-Ausschuss einberuft). Derzeit wird diskutiert, im Streitfall das Verfassungsgericht anzurufen. Das klingt gut, aber mühsam – und macht den VfGH wieder einmal zum Schiedsrichter der Politik. Neben der Frage der Abänderung der Geheimhaltungseinstufung ist auch jene nach Sanktionen bei Verstößen gegen die Geheimschutzordnung brisant: Diskutiert wird, dass Dritte (z.B. Medien) „Verschlusssachen“ (was immer das dann heißt) nicht verwerten dürfen, also darüber berichten dürfen. Das könnte die Berichterstattung zu U-Ausschüssen ziemlich verändern. Nicht zum Guten. Die Wahrheit ist nämlich auch eine Tochter der Möglichkeiten.

Apropos Möglichkeiten: Tatsächlich wird es vielleicht weniger darauf ankommen, was in der Geheimschutzordnung steht, vielmehr, wie man mit ihr umgeht. Wer Transparenz nicht will, wird immer nach einer Umgehung suchen und dessen auch verdächtigt werden. Damit es funktioniert, müssen sich die Wissensverwalter an Kontrollverlust gewöhnen und die Wissensdurstigen an mehr Verantwortung. Und wir alle gewöhnen uns hoffentlich an Auftritte wie jenen von Frau Griss. Und das Ausbleiben jeglicher Überraschung.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2014)

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