Erdoğan kam, sah und schadete der Sache

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Österreichs Politik hat sich mit dem sonderbaren Auftritt des türkischen Premiers schwergetan. Wie immer, wenn's um unangenehme Wahrheiten geht.

Unsere Innenministerin hatte wieder einmal recht: Die Demokratie hat den Auftritt des türkischen Premiers Recep Tayyip Erdogan tatsächlich überlebt. Aber, verehrte Frau Johanna Mikl-Leitner, wir hätten dennoch gern darauf verzichtet. Denn es geht nicht um die österreichische Demokratie, die tatsächlich schon eine ganze Menge aushält: von Korruption über großkoalitionäres Blei und Klubzwang trotz Persönlichkeitswahlrechts bis zu Heinz-Christian Straches sinistren Balkan-Freunden. Tatsächlich sagte Erdoğan, er wolle sich nicht in die Innenpolitik einmischen. Schön! Wir hatten ernsthaft gefürchtet, er könnte sich beim Thema Neos versus ÖVP oder der Hypo einbringen.

Nein, es geht um die Integration von türkischstämmigen Österreichern und von Türken, die in Österreich leben, und in absehbarer Zeit die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen werden. Und nicht zuletzt geht es um den Respekt gegenüber Österreich und Europa: Den lässt Recep Tayyip Erdoğan vermissen. Und das mögen seine Anhänger. Diese außenpolitische Verachtung führt dazu, dass die Identifikation junger türkischstämmiger Österreicher mit dem kleinen Land eher abnimmt als zunimmt.

Erdoğan, selbst ernannter Schutzherr der Auslandstürken, wehrt sich gegen die Assimilation seiner Schutzbefohlenen. Das ist zynisch bis lächerlich: Assimilation ist bei Einwanderern in west-, nord- und mitteleuropäischen Ländern in den vergangenen Jahrzehnten ein seltenes bis inexistentes Phänomen. Erdoğan wehrt sich also wohl eher gegen die Integration. Das ist mehr als gefährlich für eine Gesellschaft. Am Donnerstag nannte er seine hiesigen Anhänger „Enkel Kara Mustafas“ – der osmanische Feldherr war an der Belagerung Wiens gescheitert. Das soll wohl heißen, die Türken in Wien setzen die alte Mission ihres „Großvaters“ nun fort? Interessant, aber eigentlich eine ziemlich deutliche kulturelle Kriegserklärung, nicht?

Es gab mehrere Meldungen in den vergangenen Tagen und Wochen, die das Verhältnis Österreichs zu Erdoğans Türkei und seinen „Vereinen“ in keinem besonders guten Licht erscheinen lassen. Da wären etwa die „Presse“-Recherchen, die zeigten, dass die türkische Botschaft und die Konsulate Neo-Österreichern mit bisheriger türkischer Staatsbürgerschaft raten, doch die alte illegal weiterzuführen. So blieben sie Türken mit den Privilegien eines österreichischen Staatsbürgers. Zu Erdoğans Großmannsucht passen tausende „heimliche“ Türken in Europa wohl gut.

Dann gibt es da noch ganz konkrete und weit gediehene Pläne, mitten in Wien eine Religionsschule türkischer, also AKP-Ausrichtung zu eröffnen. Es sei zwar nicht an eine echte Imam-Schule gedacht, aber einen religionspädagogischen Schwerpunkt gebe es wohl schon, so die Auskunft der künftigen Betreiber. Dass fast zeitgleich eine vorbildhafte und wichtige Imam-Ausbildung an der Universität Wien startet, macht die Idee einer eigenen Religionsschule der einschlägigen türkischen Vereine zu einer echten Provokation. Leider steht einmal mehr zu befürchten, dass die Politik darauf reagiert wie bei der offensichtlich großzügigen Staatsbürgerschaftsvergabe: Kleine Einzelfälle, alles ist gut. Ist es aber nicht.


Aber Erdoğans Auftritt hat auch seine gute Seiten: Wieder einmal kann man beobachten, wie wenig bestimmt Österreichs Politik ist. Hätte man Erdoğan nicht hier haben wollen, hätte man das übliche Theater mit böser Note und Botschafter-Zitieren veranstalten können. Stattdessen war es wieder einmal eher Medienpolitik und Hysterie, die den Auftritt am christlichen Feiertag begleiteten.

Eine andere Idee mit klarer Symbolik sei Sebastian Kurz oder Bundespräsident Heinz Fischer an dieser Stelle geschenkt: Erdoğans Gegenkandidat bei der Präsidentschaftswahl ist ein Intellektueller mit nicht ganz stromlinienförmiger Biografie, der von Linken und Konservativen unterstützt wird: Warum nicht Ekmeleddin Ihsanoğlu nach Wien einladen, ihm eine schöne Bühne bieten und mit ihm diskutieren?

Und wenn der Mann zu nobel ist, Wahlkampf im Ausland zu machen – warum ihn nicht besuchen? Und ihn – ohne große Hoffnung – darin bestärken, Herrn Erdoğan aus dem Amt zu befördern.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2014)

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