Die Frage lautet: Wie wollen wir leben?

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Die „Presse“-Initiative „Ideen für Österreich“ zeigt: Für viele Zukunftsfragen liegen valide Antworten bereit. Warum gibt die Regierung nicht einige davon?

Gute Nachrichten! Nein, der Ukraine-Konflikt ist leider nicht überraschend beigelegt worden. Auch der Irak versinkt weiter im Chaos, das Gezerre um Jean-Claude Juncker hat das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der EU nicht gerade gestärkt. Und die Steuerreform (richtiger und wichtiger: die signifikante Senkung der Steuern und damit der Abgabenquote ohne Gegenfinanzierung durch die fiskalpolitische Hintertür) wird noch geraume Zeit auf sich warten lassen.

Dennoch gibt es Grund für Optimismus. Die ersten Reaktionen auf die von der „Presse“ mit Schulschluss gestartete Sommerinitiative „Ideen für Österreich“ kann man ohne Übertreibung als erfreulich bezeichnen. Innerhalb der ersten Woche haben sich bereits weit über hundert Leser und Experten mit ihren Vorschlägen für eine positive Gestaltung dieses Landes zu Wort gemeldet.

Interessant dabei auch: Mitten in der Diskussion um Hass-Postings und der verbreiteten Kultur des anonymen Beschimpfens und Verunglimpfens in digitalen Diskussionsräumen zeigt sich plötzlich viel Kinderstube im Umgang miteinander. Es werden sachlich Argumente ausgetauscht, man hört einander digital zu, und es werden erstaunlich viele konkrete Lösungsvorschläge präsentiert (überzeugen Sie sich selbst unter DiePresse.com/99ideen. Und vor allem: Beteiligen Sie sich bitte!).

Diese Erfahrung zeigt aber auch eines. Diskutiert man zentrale Zukunftsthemen ohne das übliche parteitaktische Planspiel im Hintergrund, dann gibt es in der Zivilgesellschaft eine große Bereitschaft, sich daran höchst engagiert zu beteiligen. Die Regierung hat es sich im Schatten sinkender Wahlbeteiligung und dem auch aus veränderten politischen Bedingungen resultierenden Wählerschwund in ihren aus Mandaten und Ministerposten gewobenen Hängematten bequem gemacht. Große Volksparteien gebe es eben nicht mehr, mit unangenehmen Wahrheiten könne man keine Wahlen gewinnen und die komplexen Vorgänge der Globalisierung ohnehin nicht ausreichend erklären, heißt es da gern.

Diese Argumentation wird oft akzeptiert, auf den zweiten Blick aber ist sie vor allem wahnsinnig angenehm für jene, die in der Verantwortung stehen. Und die so ihr Scheitern mit Hinweis auf die unabänderlichen Umstände vorbereiten und entschuldigen. Aber wahrer wird es deshalb natürlich auch nicht.

Am Beispiel Pflege, der unsere heutige Themenstrecke im Rahmen der Ideenserie gewidmet ist, sieht man auch, dass es vor allem auf die Art der Darstellung ankommt, wenn man Menschen involvieren will. Spricht man über Pflege als etwas, was nur andere betrifft, die alt, krank und aus der Perspektive eines Gesunden ganz weit weg sind, dann braucht man sich nicht darüber zu wundern, dass die Einladung, bei diesem schwierigen Thema wegzuschauen, nur allzu gern angenommen wird.

Schafft man es, jedem Einzelnen zu vermitteln, dass da von ihr/ihm die Rede ist, dass man unter dem Titel Pflege über menschenwürdiges, selbstbestimmtes Altsein spricht, das jeden irgendwann einmal betrifft, dann schaut die Sache schon ganz anders aus. Die Lösungen übrigens auch. Wenn wir uns nur kurz in die Lage versetzen, welche Art der Hilfe in welchem Umfeld wir gern hätten und vor allem auch, welche nicht, dann wird relativ schnell klar, wie so eine gute Pflege ausschauen muss.

Dieser Zugang lässt sich auf alle möglichen Bereiche übertragen: Nicht ständig abstrakt nach Modellen für Bildung, Arbeit, Familie, Gesundheit suchen. Sondern konkret fragen: Was wollt ihr lernen? Wie wollte ihr arbeiten? Welches Umfeld brauchen eure Familien? Wie kann euch bestmöglich geholfen werden, wenn ihr krank seid?

Dahinter steht die alles entscheidende Frage: Wie wollt ihr leben? Es gibt niemanden, den diese Frage nicht brennend interessiert, wenn er sie so direkt gestellt bekommt. Und wenige, denen nicht gleich eine Reihe von Antworten darauf einfallen würde.

Wir suchen den Sommer über weiter nach guten Ideen für dieses Land. Und vor allem für unser Leben.

E-Mails an:florian.asamer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2014)

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