LEITARTIKEL: Datenschutzreform: Europa trifft die Falschen

Die Reform des EU-Datenschutzrechts ist überfällig. Der Entwurf ist teuer, weichgespült und nicht treffsicher. Beschlossen werden muss er dennoch.

Wer heute wissen will, was sein Nachbar macht, schaut nicht mehr über den Zaun. Er schaut lieber auf Facebook nach. Der Unterschied: Auch der Konzern von Mark Zuckerberg und mit ihm die US-Regierung und die Werbewirtschaft lesen mit, um herauszufinden, was Menschen kaufen – oder in die Luft sprengen wollen. Datenschutz, wie ihn Europa kennt, interessiert sie dabei wenig. Mit der Philosophie „Erst handeln, dann entschuldigen“ hat der Facebook-Gründer seinen Nutzern schon manchen Eingriff in ihre Privatsphäre verheimlicht, bis sie doch auf die Barrikaden gingen. Wer wirklich wissen will, was mit seinen Daten passiert, muss regelmäßig das Kleingedruckte durchforsten.

Es ist daher höchste Zeit, dass Brüssel den Datenschutz wie geplant ins 21. Jahrtausend rettet. Denn die geltenden Bestimmungen stammen aus einer Zeit, in der sich die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin gerade erst in Standford über den Weg liefen. Bis ihr – heute so allgegenwärtiges – Unternehmen an die Börse ging, sollte eine Dekade vergehen. Und Mark Zuckerberg, der Möchtegern-Totengräber der Privatsphäre, war damals, im Jahr 1995, gerade einmal elf Jahre alt – und harmlos.

Heute dringen Internetfirmen wie Facebook, Google und Amazon immer tiefer ins Leben der Menschen ein, sammeln ihre Daten, bereiten sie für die Werber auf und verdienen so Milliarden. Und auch wenn die US-Konzerne belächeln, dass sich Europa so ein „überholtes Konzept“ wie Datenschutz überhaupt noch leistet: Die alten Bestimmungen halten den Anforderungen der Gegenwart nicht mehr stand.

Es geht nicht darum, mündige Bürger ihrer Selbstverantwortung zu berauben. Natürlich kann sich jeder dafür entscheiden, den Deal „Leistung für Daten“ einzugehen. Denn die Leistung ist gut, Google und Facebook erleichtern das Leben. Es ist aber notwendig zu wissen, was man tut, welche Daten gesammelt werden und an wen sie weitergegeben werden. Und zwar ohne mit der Lupe nach Warnungen suchen zu müssen. Genau das will die geplante Datenschutzgrundverordnung der EU regeln. Unternehmen sollen ihre Kunden künftig etwa plakativ und kindgerecht, also auch in Form von Piktogrammen, aufklären müssen, was mit ihren Daten passiert. Erst wenn die Nutzer das explizit erlauben, können die Firmen ihr Geschäft weiterbetreiben. Bei Verstößen drohen teils drakonische Strafen.

Klingt vernünftig. Zumindest in der Theorie. Doch was seit der Ankündigung der Datenschutzreform vor zwei Jahren passiert ist, ist eine Enttäuschung. Der erste Entwurf wurde nach heftigen Lobbying-Attacken pulverisiert. Schon vor einem Jahr schüttete der grüne Jan Philipp Albrecht, Chefverhandler für die Reform im EU-Parlament, der „Zeit“ sein Herz aus: Er beklagte sich über die „Scheißformulierungen“, die er in den Text aufnehmen musste. Diese ganzen Kompromisse würden das Gesetz verwässern. Übrig geblieben ist ein Entwurf, dessen Grundidee zwar lobenswert ist, der im Kern aber die Falschen trifft.

Denn gegen die größten Gefahren für die Privatsphäre, digital aufgerüstete Geheimdienste, ist das Papier wirkungslos. Auch bei den Konzernen dürfte die EU ihr Ziel verpassen. Denn während in Hinkunft jeder Hausarzt in Österreich einen Datenschutzbeauftragten braucht, können Facebook, Amazon und Co. vermutlich weitermachen wie bisher, fürchten Datenschutzjuristen. Brüssel fordert zwar, dass die neuen Regeln auch für US-Konzerne gelten. Doch in der Realität könnte das schwierig werden. Ohne wasserdichtes Abkommen mit Washington wird Datenschutz ein europäisches Hobby bleiben. Wie zahnlos Verträge zwischen Europa und den USA bisher geblieben sind, sieht man etwa am Safe-Harbor-Abkommen. Damit wollte die EU die Übermittlung persönlicher Daten in die USA regeln. Es gilt als Papiertiger, weil es im Ernstfall nicht durchgesetzt werden kann.

Europa braucht mehr Mut. Mut, diese Reform endlich ernsthaft umzusetzen. Wie es derzeit aussieht, hört der Mut bei den Großkonzernen auf. Kleinunternehmen und Freiberufler könnten hingegen zum Handkuss kommen. Auf sie werden wohl Kosten und Bürokratie abgewälzt. Wer die Falschen trifft, gewinnt weder das Rennen um die Privatsphäre noch neue Freunde für den Datenschutz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2014)

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