Der Friede liegt fern, die Visionäre haben ausgeträumt

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Die Eskalation der Gewalt im Nahost-Konflikt folgt einem archaischen Muster, aber einer inneren Logik. Ein großer Friedenswurf steht nicht in den Sternen.

Vernunft, Zurückhaltung und Augenmaß mahnte Barack Obama angesichts der jüngsten Eskalation im Nahost-Konflikt ein – was man als vermeintlich mächtiger Führer der westlichen Welt eben so sagt in Krisenzeiten. Es sind Worte der Diplomatie und der Moderation, indes Fremdworte in einer Region, in der sich der archaische Zyklus von Rache und Vergeltung neuerlich zu einem Krieg zwischen Israel und den militanten Palästinensern im Gazastreifen aufgeschaukelt hat.

In Ashdod, Ashkelon und Tel Aviv heulen die Sirenen, und ältere Israelis fühlen sich an den Golfkrieg 1991 erinnert, als Saddam Husseins Scud-Raketen das Land bedroht haben. Jüngere gehen indessen zur Tagesordnung über, zum Public Viewing der WM-Semifinale auf den Stränden und in den Strandbars in Tel Aviv. Doch der ziellose Terror der Hamas hat durchaus eine neue Dimension erreicht: Die Reichweite der Raketen, die bisher noch keine größeren Schäden angerichtet haben, geht über die Mittelmeermetropole hinaus.

Unterdessen steigen über Gaza, dem zwischen Israel und Ägypten eingezwängten „Gefängnis“, schwarze Rauchsäulen auf – so, als würden sie Trauer kundtun über die Opfer. Im Operationsmodus liegt allerdings ein wesentlicher Unterschied: Während Israel Minuten vor der Attacke die Bewohner der Häuser per Anruf oder Flugblätter vorwarnt, um ihnen die Flucht zu ermöglichen und sogenannte Kollateralschäden zu vermeiden, feuert die Hamas wahllos auf israelisches Territorium.


Im Raketenhagel und Kanonendonner verhallt auch Obamas naiver Appell in der israelischen Zeitung „Haaretz“: „Frieden ist möglich.“ Der US-Präsident müsste es wahrlich besser wissen, ist doch der Kraftakt John Kerrys, die redliche Friedensinitiative seines Außenministers, wegen des hinhaltenden Widerstands beider Seiten erst vor wenigen Monaten implodiert. Seither schiebt der eine dem anderen – wie gehabt – die Schuld für das Scheitern zu.

Alleingelassen im Minenfeld des Heiligen Landes dauerte es dann auch nicht lange, bis die fatale, sattsam bekannte Eigendynamik des Nahost-Konflikts wieder voll zum Ausbruch kam. Erst gingen die verfeindeten Palästinenser-Parteien, die Fatah und die als Terrororganisation eingestufte Hamas, eine Koalition ein, womit für Israel eine „rote Linie“ überschritten war. Danach kidnappten mutmaßlich Hamas-Leute drei israelische Talmud-Schüler aus dem Westjordanland, was Israel wochenlang in Aufregung versetzte. Ihren Tod rächten israelische Extremisten mit der Entführung und Verbrennung eines palästinensischen Jugendlichen, und schon war der Funke für die Eruption der Gewalt entzündet. Dass Israel versprach, die Täter gemäß den Gesetzen des Rechtsstaats zur Rechenschaft zu ziehen, konnte das Feuer nicht mehr löschen.


Die Eskalation folgt einer inneren Logik. Israels Premier, Benjamin Netanjahu, will – und muss – das Waffenarsenal und die Logistik der Hamas zerschlagen. Er weiß aber um das Risiko eines Einmarsches im Gazastreifen, aus dem Israel 2005 unter dem früheren Militärhaudegen Ariel Scharon aus guten Gründen abzog. Zugleich steht Netanjahu unter dem massiven Druck der Siedlerparteien, seiner ultrarechten Koalitionspartner, Gaza erneut zu besetzen. Gaza als Tummelplatz für Jihadisten und Radikale aller Couleur, wie dies in Syrien und im Irak Schule macht: Dies wäre nicht allein für Israel ein Horrorszenario. Politisch isoliert, abgenabelt von Syrien und dem Iran, finanziell ausgeblutet und militärisch abgeriegelt von Israel und dem Militärregime in Kairo, agiert die Hamas aus einer Position der Schwäche. Ihr Bombardement Israels ist eine Verzweiflungsaktion, um Unterstützung und Einfluss wiederzuerlangen.

Unter diesen Prämissen erscheint eine limitierte Militäraktion Israels, wie dies offenbar Netanjahu vorschwebt, und eine Vermittlung durch den ägyptischen Präsidenten, Abdel Fattah al-Sisi, in der Manier seiner Vorgänger als Militärmachthaber, als kurzfristige praktikable Lösung. Ein großer Friedenswurf steht nicht in den Sternen, für mehr als die Wiederherstellung des Status quo ante ist momentan nicht die Zeit. Die Visionäre haben einstweilen ausgeträumt, und Kerry & Co. haben das auch eingesehen.

E-Mails an:thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2014)

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