Militärische Erfolge – und ihre schwierigen Folgen für die Ukraine

Ukrainian troops are pictured in the eastern Ukrainian town of Seversk
Ukrainian troops are pictured in the eastern Ukrainian town of Seversk(c) REUTERS (GLEB GARANICH)
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Die Kämpfe in der Ostukraine haben zuletzt viele zivile Opfer gefordert. Mit jedem Toten wird ein künftiges Zusammenleben schwieriger.

Der ukrainische Präsident, Petro Poroschenko, ist in einer schwierigen Lage. Die Militäroperation im Osten der Ukraine fordert jeden Tag Tote auf beiden Seiten. Allzu oft werden in dem dicht besiedelten Gebiet auch Zivilisten Opfer der Kampfhandlungen. Rufe nach einem neuerlichen Waffenstillstand werden laut. Deutschlands Kanzlerin, Angela Merkel, mahnte Poroschenko, „Verhältnismäßigkeit zu wahren“. Auch aus den USA kommen Rufe, mit den Separatisten eine Kampfpause einzulegen. Doch mit wem soll der ukrainische Präsident über einen Waffenstillstand verhandeln?

Der erste unilateral von Kiew ausgerufene Waffenstillstand wurde von den Separatisten vor allem dazu genutzt, sich neu zu ordnen, mit Kämpfern und schweren Waffen zu versorgen. Verfügten sie früher gerade einmal über Sturmgewehre und Panzerfäuste, besitzen sie heute komplexe Militärtechnik wie Kampfpanzer und Luftabwehrraketen. Auf ukrainischer Seite zählte man während der zehn Tage dauernden Waffenruhe 30 tote und mehr als 100 verletzte Soldaten. Auf eine nochmalige einseitige Waffenruhe lässt sich Poroschenko nicht ein – ganz abgesehen davon wäre er nicht mehr lange Präsident.

Die Separatisten ihrerseits zeigen keinen Willen einzulenken. Mit bebender Stimme verkünden sie in ihrem Hauptquartier in Donezk, dass sie bis zum Letzten kämpfen werden. „Entweder wir gewinnen, oder wir sterben alle“, ist das Motto, das der selbst ernannte Volksgouverneur von Donezk, Pawel Gubarew, zuletzt ausgerufen hat. Doch wer hört eigentlich auf ihn? Kein einziger Repräsentant der Donezker Volksrepublik kann behaupten, die prorussischen Milizen unter seiner Kontrolle zu haben. Sie bekämpfen einander zum Teil sogar. Wenn sie Befehle ausführen, dann sind es jene ihrer Feldkommandanten.

Selbst wenn Russland ein Machtwort spräche, was es bis jetzt noch nie getan hat: Würden alle Bewaffneten die Waffen ablegen? Das ist zu bezweifeln. Zumal auch aufseiten der Separatisten die Unzufriedenheit steigt, dass sie von Moskau nicht mehr und offenere Unterstützung erfahren. Man fühlt sich ausgeliefert und schwört, stur weiterzukämpfen.

In dieser Situation setzt Kiew offenbar auf Eroberung: Einheiten nähern sich den Separatisten aus drei Himmelsrichtungen, das von ihnen kontrollierte Territorium hat sich zuletzt erheblich verkleinert. Sie sollen eingekreist und dann in Richtung russischer Grenze gedrängt werden. Militärisch klingt das plausibel. Doch in politischer Hinsicht riskiert Kiew bei der Umsetzung viel: Das Gebiet ist dicht besiedelt, die Separatisten verschanzen sich immer wieder in Wohngebieten, und jeden Tag sterben unschuldige Zivilisten. Beide Seiten weisen die Schuld für die Toten von sich.

Während die Separatisten verantwortungslos agieren können, darf Kiew das nicht tun. Mit jedem toten Zivilisten wird das von Kiew propagierte Diktum vom „Kampf gegen Terroristen“, die laut Kiew vorrangig aus Russland kommen, unglaubwürdiger. Diese Argumentation ist immer schon fragwürdig gewesen, da unter den Kämpfern auch viele Einheimische sind. Steigt die Zahl der getöteten Zivilisten, könnte sich die Stimmung im Osten noch mehr gegen Kiew wenden.

Schon heute ist es genau diese Kerbe, die Russland zu instrumentalisieren versucht. Während Kiew von einer „Anti-Terror-Operation“ spricht, ist Moskau bemüht, den Militäreinsatz als illegitimen Krieg gegen die Bevölkerung darzustellen. Nicht nur in russischen Medien, sondern zunehmend auf diplomatischer Ebene bemüht sich Moskau, Kiew der Völkerrechtsverletzung zu bezichtigen. Damit verbunden: der Ruf nach der gerichtlichen Verfolgung der „Übeltäter“.

Poroschenko darf sich nicht provozieren lassen. Er muss zivile Opfer vermeiden. Die wirklich schwierigen Aufgaben werden erst nach der Vertreibung der Separatisten beginnen: Wiederaufbau und Versöhnung. Kiew muss sich schon jetzt wie ein Staat verhalten, in dem die Bürger des Donbass auch künftig noch leben wollen. Ein Staat, wie ihn die Demonstranten auf dem Kiewer Maidan ursprünglich im Sinn hatten, der seine Bürger vor Gesetzlosigkeit schützt.

E-Mails an: jutta.sommerbauer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2014)

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