Die Holschuld Österreichs und die Bringschuld der Türken

(c) Clemens Fabry
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Bei der türkischstämmigen Bevölkerung gibt es in Sachen Integration besonders viel zu tun. Das aber auch vonseiten der österreichischen Politik.

Vieles, was über Menschen mit Migrationshintergrund gesagt oder gedacht wird, basiert vor allem auf Einzelerfahrungen und Bauchgefühl. Umso lobenswerter ist es, wenn sich die Politik dieser Menschengruppe annimmt und versucht, sie durch Studien in Österreich auch statistisch stärker zu verorten, um manche Einschätzung mit Zahlen argumentativ unterfüttern zu können. Zuletzt etwa geschehen durch eine Befragung über die Einstellungen von Wählern mit Migrationshintergrund zur Politik in Österreich, deren Ergebnisse nun vorgestellt wurden.

Es mag müßig sein, in all den Analysen immer eine Gruppe herauszugreifen, bei der es die größten Schwierigkeiten gibt. Aber auch in der aktuellen Befragung ist der Anteil jener, die am weitesten weg vom Gesamtschnitt sind, also bei Menschen mit türkischen Wurzeln, am größten. Im Vergleich mit anderen Migrantengruppen fällt das Interesse an österreichischer Politik bei ihnen am geringsten aus. Die EU-Mitgliedschaft gilt bei ihnen am wenigsten als gute Sache. Und bei der Angabe, ob es ihnen egal ist, ob sie in einer Demokratie leben oder nicht, zeigen sie am ehesten Zustimmung. Umgekehrt fühlen sie sich am wenigsten von allen Gruppen ausreichend informiert, um am politischen System teilnehmen zu können. Und sie zweifeln am stärksten daran, dass alle Menschen in Österreich gleich behandelt werden.

Was sagt uns das? Nun, dass es wohl tatsächlich in der Gruppe der türkischstämmigen Österreicher den größten Aufholbedarf gibt, was die Beteiligung am politischen Geschehen des Landes gibt. Das ist als Bringschuld zu verstehen, dass vor allem die einflussreichen türkischen Vereine stärker darauf pochen müssen, den Blick nicht auf das politische Geschehen in der Türkei zu richten, sondern aktiver am politischen Leben in Österreich teilzunehmen. Das ist aber auch eine Holschuld von österreichischer Seite, die dieser Gruppe das Gefühl geben muss, auch erwünscht zu sein – und das nicht nur als Mehrheitsbringer für politische Parteien, denen man halt einmal einen türkischstämmigen Kandidaten als einziges Angebot der politischen Partizipation hinsetzt. Gibt es dieses Angebot nicht, hat man auch weiterhin den volkstümlichen Vereinnahmungsversuchen des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan nichts entgegenzusetzen.

Es gibt aber noch eine zweite Lehre, die bei solchen Umfragen gern übersehen wird: dass es nämlich leicht ist, sich eine bestimmte Gruppe herauszupicken und sie als Fahnenträger der Rückständigkeit zu inszenieren. Ressentiments und Statistik gehen so eine Zweckehe ein, die sich politisch knackig vermarkten lässt. Allerdings, und hier sei noch einmal der Blick auf die Umfrage erlaubt: Von einem monolithischen Block türkischen Widerstands gegen Österreichs Politik und Werte ist nichts zu merken. Ja, das Interesse an der Politik in Österreich ist schwächer ausgeprägt, doch immerhin 65 Prozent sind sehr oder eher daran interessiert. Und der Anteil jener, denen es im Grunde egal ist, ob sie in einer Demokratie leben oder nicht, ist im Vergleich höher als bei anderen Migrantengruppen – doch sprechen sich 81 Prozent klar für die Demokratie aus.


Klar, auch die restlichen 19 Prozent sollte man für Demokratie begeistern, auch die anderen 35 Prozent stärker für Politik interessieren. Doch aufgrund derartiger Umfragen gleich den Untergang des Abendlandes heraufzubeschwören würde maßlos über das Ziel hinausschießen. Das wäre auch nicht ganz ehrlich gegenüber der österreichischen Mehrheitsbevölkerung – sie tickt nämlich in politischer Hinsicht gelegentlich auch nicht ganz so demokratisch, wie sie es von anderen verlangen würde. Laut einer Sora-Umfrage vom Mai 2014 sehnen sich 29Prozent nach einem „starken Führer“. Und 36 Prozent glauben, dass die NS-Zeit nicht nur Schlechtes, sondern auch Gutes gebracht habe.

Ja, es gibt in Sachen Integration noch viel zu tun – bei der Gruppe der Türkischstämmigen wohl besonders viel. Doch die aktuelle Umfrage zur politischen Teilhabe weist zumindest in eine Richtung: dass sie mittlerweile nicht mehr so schlecht integriert ist, wie es das Bauchgefühl vermuten lässt.

E-Mails an:erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2014)

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