Europa und Russland: Sanktionen auf Samtpfoten

Russian President Vladimir Putin arrives for a meeting of the Security Council in Moscow's Kremlin
Russian President Vladimir Putin arrives for a meeting of the Security Council in Moscow's Kremlin(c) REUTERS
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So zahnlos, wie die Maßnahmen der EU gegen das russische Vorgehen in der Ukraine dargestellt werden, sind sie in Wirklichkeit gar nicht.

Was tun mit Russland? Dass Europa selbst im sechsten Monat der Ukraine-Krise noch keine schlüssige Antwort auf diese Frage gefunden hat, liegt nicht nur am Talent der Taktiker im Kreml und der chamäleonhaften Wandlungsfähigkeit Wladimir Putins, sondern vor allem daran, dass die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit in Brüssel selten so tief war wie dieser Tage. Die Wirklichkeit, die das Rote Kreuz bereits als Krieg bezeichnet, steht dem weitverbreiteten Wunsch nach einer Rückkehr zur guten alten Zeit im Weg, als man mit Moskau noch ungestört Geschäfte machen konnte, ohne auf die Befindlichkeiten von irgendwelchen Osteuropäern Rücksicht nehmen zu müssen.

Seit dem Abschuss eines Passagierflugzeugs mit knapp 300 Menschen an Bord – darunter gut 200 EU-Bürger – müsste es eigentlich mit diesen Tagträumen vorbei sein. Denn alle Indizien deuten darauf hin, dass es die Soldateska von Putins Gnaden war, die den Flieger vom ostukrainischen Himmel geholt hat. Doch wer im Vorfeld des gestrigen Treffens der EU-Außenminister Stellungnahmen sammelte, konnte leicht den Eindruck gewinnen, in Brüssel würden 28 Kleinkinder „Das kaufmännische Talent“ spielen, während ihnen Raketen um die Ohren fliegen.

Der Staatschef Frankreichs, François Hollande, verteidigte den Verkauf von zwei Kriegsschiffen an die russische Marine mit dem Argument, dass man ja dann – quelle horreur! – Moskau den Kaufpreis von 1,2Milliarden Euro rückerstatten müsste. Außerdem sollten die Briten, die laut nach Sanktionen schreien, gefälligst vor ihrer eigenen Haustür kehren und die russischen Oligarchen in London an die Kandare nehmen, bevor sie anderen gute Ratschläge erteilen. Bundeskanzler Werner Faymann wiederum wünschte sich nichts sehnlicher als ein Waffenembargo gegen Russland, was gut klingt und – noch wichtiger – Österreich nicht wehtut. Denn richtig unangenehm wird die Sache erst dann, wenn die EU Breitbandsanktionen gegen ganze russische Wirtschaftszweige verhängt.

Doch danach sieht es momentan nicht aus. Was schon einigermaßen erstaunlich ist, denn die berühmt-berüchtigte Sanktionsstufe drei wurde für den Fall angedroht, dass Russland den Osten der Ukraine zu destabilisieren suchen würde. Genutzt hat diese Drohung nur insofern, als der befürchtete Einmarsch der regulären russischen Truppen ausgeblieben ist. Stattdessen hat Putin die Hunde des Krieges auf die Ukraine losgelassen – in der Hoffnung, seine Hände in Unschuld waschen zu können. Bis dato ist das einigermaßen gut gelungen.

Hat Europa also versagt? Nein. Denn so zahnlos, wie die europäischen Sanktionen mancherorts dargestellt werden, sind sie in Wirklichkeit gar nicht. Abseits aller Debatten um ein Waffenembargo – das ohnehin nur symbolischen Charakter hätte, denn das Gros der russischen Waffen wird daheim (bzw. in der Ukraine) produziert – wurden bereits vergangene Woche die Weichen für Wirtschaftssanktionen gestellt: Fortan können nämlich nicht nur Privatpersonen, sondern auch Unternehmen aus der EU verbannt werden – womit wir de facto bei der dritten Sanktionsstufe wären, denn russische Staatsbetriebe lassen sich aufgrund ihrer Größe mit ganzen Branchen gleichsetzen.

Dass niemand das Kind beim Namen nennen will, hat zwei Ursachen. Erstens, um jenen EU-Mitgliedern, die mit Russland ökonomisch eng verbandelt sind, nicht Angst vor dem eigenen Mut zu machen. Deswegen vollzieht sich der Übergang von Stufe zwei zu Stufe drei auf Samtpfoten und wird nicht von Paukenschlägen begleitet.


Die zweite Ursache liegt in der Natur der EU. Die Unionsmethode, ein Problem zu lösen, besteht in der Zerlegung der Materie in möglichst viele möglichst kleine Teile, die dann einzeln bearbeitet werden. Was dabei am Ende herauskommt, ist selten schön anzusehen, doch in den meisten Fällen funktioniert es erstaunlich gut. Dahinter steht der Gedanke, dass Nationen mit Detailarbeit beschäftigt werden müssen, damit sie nicht wieder anfangen, über das größere Ganze zu streiten. Die europäische Geschichte lehrt, dass derartige Konflikte selten gut ausgehen.

E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2014)

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