Wenn nach dem Krieg einfach nur vor dem Krieg bedeutet

U.S. Secretary of State Kerry meets with Israel's Prime Minister Netanyahu  in Tel Aviv
U.S. Secretary of State Kerry meets with Israel's Prime Minister Netanyahu in Tel Aviv(c) REUTERS
  • Drucken

Irgendwann werden auch im Gazastreifen die Waffen wieder schweigen. Doch von einer Lösung des Konflikts ist man weiter entfernt als je zuvor.

Es ist keine leichte Mission, die US-Außenminister John Kerry am Mittwoch in Jerusalem angetreten hat. Denn das Ziel seiner Reise war nichts Geringeres, als einen Waffenstillstand Israels mit den Kämpfern der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas auszuhandeln.

Es ist auch höchste Zeit, dass das Blutvergießen im Gazastreifen beendet wird. Zwar behauptet Israels Militär, alles zu unternehmen, um zivile Opfer zu vermeiden. Doch Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch bezweifeln das. Die UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay sprach nun sogar von möglichen Kriegsverbrechen der israelischen Streitkräfte. Und im UN-Menschenrechtsrat wird eine Verurteilung Israels gefordert – in einem Gremium freilich, in dem schon in der Vergangenheit ausgerechnet immer dann harte Kritik geübt wurde, wenn es gegen Israel ging. Und in dem derzeit auch Staaten wie Saudiarabien oder Kasachstan sitzen, die jetzt nicht gerade Musterschüler in Sachen Menschenrechte sind.

Faktum bleibt, dass unter den israelischen Angriffen vor allem die Bevölkerung des Gazastreifens leidet. Der Großteil der bisher mehr als 600 Todesopfer sind Zivilisten, darunter viele Kinder. Unzählige Familien mussten fliehen. Zahlreiche Wohnhäuser wurden verwüstet. Die Lage der Menschen in der palästinensischen Enklave wird von Tag zu Tag schrecklicher. Das muss sich rasch ändern.

Zugleich ist es aber auch höchste Zeit, dass die Raketenangriffe der Hamas und anderer Palästinenserorganisationen auf israelische Städte gestoppt werden. Diese Attacken bedrohen zehntausende Zivilisten, zwingen sie regelmäßig in die Luftschutzbunker. Natürlich sind die Auswirkungen der Raketenangriffe nicht mit den viel massiveren Zerstörungen zu vergleichen, die Israels Militäroperation anrichtet. Der Hauptgrund dafür liegt aber in den technisch ausgereiften Abwehrsystemen der Israelis und der im Verhältnis dazu primitiven Ausrüstung der palästinensischen Kämpfer. Denn eines steht fest: Hätten die Hamas oder der Islamische Jihad auch nur annähernd die Mittel in Händen, die Israels Streitkräfte besitzen, und Israel wäre in der schwächeren Position, wäre von Städten wie Tel Aviv nicht mehr viel übrig. Dann würden extremistische Palästinensergruppen wohl ohne jede Zurückhaltung versuchen, ihren Traum umzusetzen: die Zerstörung des jüdischen Staates.

Derzeit scheint weder Israels Regierung noch die Hamas an einem sofortigen Waffenstillstand interessiert. Die islamistische Organisation will nicht aus dem blutigen Spiel aussteigen, ohne sich danach als „Sieger“ präsentieren zu können: als der Schwächere, der der israelischen Militärmaschinerie lange standgehalten und Israel und der internationalen Gemeinschaft politische Zugeständnisse abgerungen hat. Wie viele eigene Zivilisten dafür noch mit ihrem Leben bezahlen müssen, scheint für die Hamas nebensächlich zu sein. Israels Regierung wiederum will die Offensive so lang wie möglich dazu nutzen, um Tunnel und Raketenlager im Gazastreifen zu zerstören und möglichst viele Funktionäre von Hamas und Islamischem Jihad auszuschalten. Und um erneut in die ganze Region das Signal auszusenden, dass man sich mit Israel besser nicht anlegt.

Irgendwann in den kommenden Tagen wird – auf internationalen Druck hin – das Blutbad wohl beendet werden. Israel wird sich – zumindest kurzfristig – ein wenig sicherer fühlen als zuvor, weil das Waffenarsenal der Palästinensergruppen im Gazastreifen dezimiert wurde. Und die Hamas wird sich als angeblich „einzige Verteidigerin der Palästinenser“ politisch mächtiger fühlen als zuvor. Sonst heißt es zurück an den Start. Nur mit dem Unterschied, dass zwischendurch tausende Menschen unsägliches Leid erdulden mussten.

Gelöst wurde nichts. Nach dem Krieg ist vermutlich vor dem (nächsten) Krieg. Um den Kreislauf immer neuer Waffengänge zu durchbrechen, braucht es endlich einen Friedensvertrag, an den sich auch Gruppen wie die Hamas gebunden fühlen und der den Palästinensern einen überlebensfähigen Staat gibt. Doch das scheint in nächster Zeit illusorisch. Denn derzeit haben die Hardliner das Sagen.

E-Mails an:wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

ISRAEL PALESTINIANS GAZA STRIP CONFLICT
Außenpolitik

Gaza-Krieg: Israel zieht sich zurück

Die Bodenoffensive nähert sich ihrem Ende. Am Sonntag wurde aber erneut eine UN-Schule aus der Luft angegriffen. Wieder gab es Tote.
Außenpolitik

Wieder Angriff nahe UN-Schule: "Das ist ein Skandal"

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon nennt israelischen Luftschlag ein "Verbrechen". Auch die USA reagieren "bestürzt".


Undated handout of Israeli soldier Hadar Goldin
Außenpolitik

Israel: Vermisster Soldat im Kampf gefallen

Der 23-Jährige wurde laut Militärangaben nicht entführt. Die Zahl der Toten im Gazastreifen stieg am Sonntagmorgen weiter an.
U.S. Secretary of State John Kerry speaks on his phone while his plane refuels at Ramstein Air Base in Ramstein-Miesenbach
Außenpolitik

Israel soll US-Außenminister Kerry abgehört haben

Kerry soll während der Nahost-Gespräche abgehört worden sein. Das berichtet "Der Spiegel" unter Berufung auf Geheimdienstkreise.
Außenpolitik

Nahost-Konflikt: Israel zieht erste Verbände aus Gaza ab

Laut einem Armeesprecher ist die Zerstörung der Hamas-Tunnel weitgehend abgeschlossen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.