Europas Strategie im Irak: Abputzen am „Weltpolizisten USA“

US-Flagge und Polizist
US-Flagge und PolizistREUTERS
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Die USA mögen mehr Verantwortung für das Chaos im Irak tragen. Eine größere Gefahr stellen die Extremisten aber für Europa dar. Es muss mehr tun.

Der Alte Kontinent zaudert und zögert angesichts des Vormarschs der Extremisten des Islamischen Staats (IS). Doch wäre es wirklich eine Option, die fanatischen Gotteskrieger im Irak und in Syrien einfach gewähren zu lassen? Europas Führung sollte sich dabei die möglichen Folgen ihrer Untätigkeit vergegenwärtigen. Ein apokalyptisches Szenario, das sich jetzt schon abzeichnet: Wenn niemand die Jihadisten stoppt, dann schlachten sie tausende Yeziden und Christen ab, begraben weitere Kinder und Frauen bei lebendigem Leib oder kreuzigen sie, wie zuletzt in Syrien. Die christliche Minderheit im Irak verschwände endgültig in den Geschichtsbüchern. Nach der Ausrottung der Yeziden würden sich die Extremisten möglicherweise der multikulturellen Kurdenhauptstadt Erbil zuwenden, danach Bagdad – und mittelfristig auch dem kleinen Libanon. Der Zedernstaat mit seinem zerbrechlichen Gleichgewicht der Konfessionen wäre eine leichte Beute.

Und die Terroristen würden damit auch näher an Europa heranrücken.

Denn für IS gibt es keine Grenzen, nur Fronten. Dieses Credo der Extremisten muss sich Europa einprägen, wenn es das ganze Ausmaß der Bedrohung durch IS erfassen will. Erstmals nach knapp 13 Jahren, also seit dem Sturz des Taliban-Regimes am Hindukusch, hätte eine islamistische Terrororganisation wieder eine Operationsbasis, um seelenruhig Anschläge auf Europa vorzubereiten. Und diesmal ist es nicht al-Qaida, sondern der Islamische Staat, der Osama bin Ladens Nachfolgern bekanntlich zu brutal erscheint.

Europas Verfassungsschützer, darunter jene in Wien, warnen schon jetzt vor der Heimkehr hunderter europäischer Jihadisten. Man stelle sich vor, die Kämpfer kämen nicht nur verroht und fanatisiert zurück, sondern auch mit breiter Brust.

Nun hat der Vormarsch der IS-Terroristen selbst den kriegsmüdesten Präsidenten der jüngeren US-Geschichte zum Eingreifen bewogen. In einem klar umrissenen Mandat hat Barack Obama US-Angriffe auf IS-Stellungen genehmigt. Die F18-Kampfjets sollen einen Völkermord an den in die Berge geflüchteten Minderheiten verhindern, das US-Personal in Erbil schützen – und auch den kurdischen Peschmerga-Kämpfern Luft verschaffen. Europa darf sich nun nicht am Weltpolizisten wider Willen abputzen. Es muss mehr tun. Waffenlieferungen an die Peschmerga-Kämpfer, wie sie nun Paris erwägt, aber Berlin ablehnt, wären ein erster Schritt.

Nun gibt es den Einwand, dass die USA mit ihren Bomben doch im Alleingang das Chaos im Zaum halten sollen. Schließlich haben sie es mit dem Irak-Krieg 2003 selbst angerichtet. Doch dieses Argument greift zu kurz. Natürlich lässt sich eine Linie ziehen – vom US-Krieg gegen das Saddam-Regime über die Zerschlagung der von Sunniten dominierten irakischen Armee bis zur US-Unterstützung des schiitischen Premiers, Nouri al-Maliki, der auf die sunnitische Saddam-Diktatur eine schiitische Vetternwirtschaft folgen ließ und damit den Boden für die sunnitischen Extremisten bereitete. Aber auch große europäische Nationen wie England oder Polen zogen 2003 an der Seite der USA in den Krieg.


Die US-Regierung trägt zwar die größere Verantwortung, mehr Gefahr strahlen die Extremisten aber für das viel nähere Europa aus. Doch nicht nur Europa zaudert. Auch die Vereinten Nationen begnügen sich mit Besorgnisbekundungen. Der US-Einsatz müsste längst durch ein Mandat des Sicherheitsrats legitimiert sein – wie es George W. Bush 2003 zu Recht verwehrt wurde.

Politisch lässt sich IS nur durch eine irakische Einheitsregierung bekämpfen. Die ernsthafte Einbindung moderater Sunniten würde einen Keil zwischen moderate Sunniten und die Extremisten treiben. Vermitteln müssten einen solchen Deal in erster Linie die Anrainer. Sie tragen eine beträchtliche Mitverantwortung am Fiasko. Die Türkei war lange Transitland für europäische Jihadisten, die über ihre Grenzen in die IS-Einheiten nach Syrien sickerten und dann weiter in den Irak zogen. Und die Scheichs aus den konservativen Golfstaaten fütterten die islamistische Opposition gegen Assad mit ihren Petro-Dollar. Nun ist der Geist aus der Flasche. Die Welt muss ihn gemeinsam einfangen.

E-Mails an:juergen.streihammer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2014)

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