Wladimir Putin ist der Letzte, der den Ukrainern helfen kann

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Die Drehbuchautoren im Kreml würden den Konflikt in der Ostukraine am liebsten unter dem Vorwand einer „humanitären Mission“ einfrieren.

Die Dramaturgie stimmt, auch wenn das genaue Szenario des Stücks, das momentan zwischen Moskau und Donezk aufgeführt wird, noch unbekannt ist: Am Dienstag in den frühen Morgenstunden brach ein Konvoi von der russischen Hauptstadt Richtung Süden auf: 280 weiß getünchte Laster, die – so behauptet jedenfalls die Regierung Russlands – mit Hilfsgütern für die Zivilbevölkerung in der umkämpften ukrainischen Metropole beladen sind. Bis der Treck die Grenze erreicht, werden wohl noch Tage vergehen – schließlich beträgt die Distanz zwischen Moskau und Donezk gut tausend Kilometer. Was dann passieren wird, ist nicht klar, denn die ukrainische Regierung hat bereits angekündigt, die Lkw an der Weiterfahrt zu hindern – man sei aber bereit, den Weitertransport der Waren vom Roten Kreuz abwickeln zu lassen, hieß es in Kiew.

Das Problem ist nur, dass das Wohlergehen der Zivilisten in Donezk das Letzte ist, woran Wladimir Putin denkt. Wäre es anders, hätte er die Hilfsgüter ganz unspektakulär aus den viel näher gelegenen Städten Rostow und Wolgograd herbeischaffen können. Dass der Konvoi ausgerechnet in Moskau starten musste, ist den Anforderungen der russischen Propagandamaschinerie geschuldet. Das langsame Vorankommen der Transporter kann nun nach allen Regeln der Agitprop ausgeschlachtet werden. Im russischen TV steigt also die Spannung – welche Klimax sich die Drehbuchautoren im Kreml dieses Mal ausgedacht haben, werden die Fernsehzuschauer demnächst erfahren.

Leider spricht vieles dafür, dass es auch diesmal kein Happy End geben wird: nicht für die leidgeprüfte Bevölkerung in der Ostukraine, die im undeklarierten Krieg zwischen der ukrainischen Armee und der Soldateska von Putins Gnaden zwischen die Fronten geraten ist, und auch nicht für die Regierung in Kiew, die seit Monaten versucht, die von Russland betriebene Filetierung ihres Landes zu verhindern. Ihr legitimes Interesse ist mit den Interessen der russischen Führung schlicht und ergreifend inkompatibel. Während das Gros der Ukrainer in einer liberalen, marktwirtschaftlichen Demokratie leben will – denn genau dafür steht das in Kiew und anderswo beschworene „Europa“ –, will Putin verhindern, dass in einer benachbarten Ex-Sowjetrepublik ein prosperierender, nach Westen orientierter Rechtsstaat entsteht. Denn dann könnten eines Tages auch seine Untertanen auf dumme Gedanken kommen . . .

Die große Frage ist nun, welchen Preis Moskau zu zahlen bereit ist. Je erfolgreicher die Kampagne der ukrainischen Truppen gegen die prorussischen Separatisten, desto höher die Wahrscheinlichkeit eines russischen Eingreifens unter dem Deckmantel eines „humanitären Hilfseinsatzes“. Für Putin steht viel auf dem Spiel: Die russische Bevölkerung, die er mit Lügenmärchen von dem angeblich bevorstehenden „Holocaust“ in der Ukraine und dem heldenhaften Widerstand der ostukrainischen Freiheitskämpfer gegen die „Faschisten“ aus Kiew füttern ließ, würde ihm einen Rückzieher nicht verzeihen. Doch eine Invasion würde den endgültigen Bruch mit dem Westen und weit schärfere Sanktionen nach sich ziehen. Eine „humanitäre Mission“ könnte daher die Möglichkeit bieten, den Konflikt einzufrieren, damit die Ukraine nicht zur Ruhe kommt.

Was also tun, damit der Chefdramaturg im Kreml die Leiden der Zivilbevölkerung nicht für seine Zwecke instrumentalisiert? Die wohl beste Option wäre es, auf eine Feuerpause zu drängen und den dringend benötigten Hilfseinsatz dem Roten Kreuz zu überantworten. Ob Putins Condottieri, die sich in Donezk und Luhansk verschanzt haben, da mitspielen würden, steht auf einem anderen Blatt. Ihr Kalkül lautet nämlich folgendermaßen: Je mehr zivile Opfer, desto höher der mediale Druck auf die russische Führung – und desto größer die Wahrscheinlichkeit eines Entsatzes durch reguläre russische Truppen.

Während also die 280 Laster in Richtung Donezk rollen, machen alle Beteiligten – die Ukraine, die Rebellen, Russland, der Westen – zunehmend den Eindruck von Getriebenen. Für eine halbwegs geordnete Lösung des Konflikts ist das eine denkbar schlechte Voraussetzung.


E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2014)

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