Ohne Wachstum gibt es keinen Fortschritt

AUSTRALIA DICK SMITH WILBERFORCE AWARD
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Immer nur wachsen. Muss damit nicht einmal Schluss sein? Nein. Wachstum bedeutet nicht nur Konsum, sondern vor allem Innovation und weniger Armut.

Der Aufruf des schillernden australischen Millionärs Dick Smith ging um die Welt. Flankiert von hübschen Blondinen öffnete er einen Geldkoffer und versprach jenem unter 30-Jährigen eine Million australische Dollar, der den Politikern und Ökonomen dieser Welt beweisen kann, dass ständiges Wirtschaftswachstum geradewegs ins Verderben führt. Smith wollte sein Geld innerhalb eines Jahres los sein. Er hat es immer noch. Dabei liegt sein Auftritt ziemlich auf den Tag genau zwei Jahre zurück. Noch immer ist weit und breit keine zündende Idee in Sicht.
Dafür haben wir uns in den Industrieländern mittlerweile daran gewöhnt, dass wir kaum noch wachsen. Österreichs Wirtschaftsleistung legte im zweiten Quartal um mikroskopische 0,2 Prozent zu. Wir stagnieren also. Zum Glück auf hohem Niveau. Und dieses hohe Niveau ist es auch, das uns relativ gelassen bleiben lässt. Wohin sollen wir denn wachsen? Wie viele Fernsehgeräte, Handys, Autos, Computerspiele, Stöckelschuhe brauchen wir denn noch? Mehr als im Überfluss leben kann man nicht.
Dass unser Wachstumswahn in einen selbstzerstörerischen „Konsumterror“ mündet, diese These unterschreiben heute sowohl linke Intellektuelle als auch Bildungsbürger. Der neue Luxus heißt Verzicht. Immer mehr (Städter) verzichten auf das Auto. Verlangten tüchtige Mitarbeiter früher vom Chef eine Gehaltserhöhung, so fordern sie heute kürzere Arbeitszeit. Wir können es uns leisten, aus dem Hamsterrad des Kapitalismus zu hüpfen.
„Das BIP ist eine dumme Statistik“, sagte der liberale tschechische Ökonom Tomáš Sedláček dieser Zeitung. Tatsächlich misst dieses Bruttoinlandsprodukt zwar den Wert aller Güter, die in einem Jahr in einem Land hergestellt werden, aber es interessiert sich nicht dafür, ob wir diese Güter irgendwann auch einmal bezahlen können. Für Sedláček gibt es „keine Krise des Kapitalismus, sondern eine Krise des Wachstumskapitalismus“. Um letzten Endes immer weniger Wachstum zu erzielen, nahmen die Industrieländer immer höhere Schulden in Kauf. Österreichs Schuldenstand ist mittlerweile auf über 80 Prozent des BIPs geklettert. Das ist ein negativer Rekord und trotzdem weit entfernt von Ländern wie Japan (244 Prozent), Griechenland (177 Prozent) oder den USA (107 Prozent). Und bei all der berechtigten Kritik an Vater Staat, der mit seinen Steuereinnahmen nicht haushalten kann, wird meist vergessen, dass viele Unternehmen und Private ebenfalls bis über beide Ohren verschuldet sind. Zählt man die Schulden von Staat und Privaten zusammen, so käme etwa Japan auf eine Gesamtverschuldung von 510 Prozent des BIPs, Großbritannien auf immerhin 500 Prozent, die USA und Deutschland auf knapp 280 Prozent.
Wir haben kein Wachstumsproblem, sondern ein Schuldenproblem. Diese Schuldenberge müssen abgebaut werden. Der Preis, den wir dafür bezahlen, ist geringeres, womöglich gar kein Wirtschaftswachstum. Liberale Ökonomen wie Adam Smith oder der Österreicher Joseph Schumpeter hatten ohnehin nie ein Problem damit, nicht zu wachsen. Sie sahen in einem gleichbleibenden Zustand nichts Verachtenswertes.

Aber Schumpeter spricht auch von der „schöpferischen Zerstörung“. Schließlich produzieren wir nicht immer mehr vom gleichen Käse. Unser Käse wird besser, gesünder und natürlich bio. In Ländern wie Indien und China führte das immense Wirtschaftswachstum dazu, dass Millionen Menschen der Armut entfliehen konnten. Noch vor dreißig Jahren gab es dort Hungersnöte. In den 1960er-Jahren lag die Lebenserwartung in China bei knapp über 40 Jahren. Weil Schwellenländer schneller wachsen als Industrieländer, wird die Welt gerechter. In den 1970er-Jahren war ein Durchschnittsamerikaner 22-mal reicher als ein Durchschnittschinese. 2008 war er nur noch fünfmal so reich, schreibt der Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson.
Wachstum ist mehr als Konsum. Wachstum schafft Innovation. Wer auf Wachstum verzichtet, verzichtet auf Fortschritt. Dem gehen am Ende die Ideen aus. Ist das vielleicht der Grund, warum Dick Smith noch immer keinen Abnehmer für seinen Geldkoffer gefunden hat?


E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

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