Nicht teilen, nicht retweeten, nicht drucken!

FILE SYRIA JAMES FOLEY
FILE SYRIA JAMES FOLEY(c) APA/EPA/Nicole Tung / Courtesy o
  • Drucken

Für Bilder von Verbrechen wie dem an James Foley kann nur gelten: Wer sie verbreitet, macht sich zum Instrument der Propaganda.

Twitter ist schnell. Rasend schnell. Kaum ist bekannt geworden, dass der US-Journalist James Foley von dem IS ermordet worden ist, hat im Netz die Nachricht von einem Video die Runde gemacht, das seine Enthauptung zeigt. Es beginnt mit einem TV-Ausschnitt, in dem Obama die Luftschläge gegen den IS ankündigt, zeigt dann Foley, wie ihm in der Wüste der Kopf abgeschnitten wird, und anschließend einen Reporterkollegen, dem dasselbe drohe, sollten die USA nicht einlenken.

Zumindest habe ich das gelesen. Gesehen habe ich es nicht. Es gibt keinen Grund, sich solch ein Erpresservideo anzuschauen. Es gibt erst recht keinen Grund, sich via Retweet-Button oder Teilt-Pfeil in den Dienst der IS-Propaganda zu stellen. Und es gibt die Bitte von Foleys Schwester, der unbedingt zu entsprechen ist: „Ehrt James Foley und respektiert die Privatsphäre meiner Familie. Seht euch das Video nicht an! Teilt es nicht!“


Darauf, keine Aufnahmen zu verbreiten, die schon zum Zweck der Erpressung gedreht oder geschossen wurden, und die nur dazu dienen, Angst und Horror zu verbreiten, kann man sich noch relativ leicht einigen, wenn einen nicht die Sensationslust oder die Gier nach Aufmerksamkeit treibt. Und so waren Twitter und Facebook am Mittwoch voll mit der Aufforderung, die Mörder des IS in ihrem medialen Feldzug nicht auch noch zu unterstützen. Aber was ist mit „normalen“ Kriegsbildern? Was ist mit jenen Bildern, die nicht die Täter verbreiten, um sich zu brüsten? Sondern die ins Netz gestellt werden, um der Welt die Grausamkeit des Kriegsgegners oder eines Regimes vor Augen zu halten? Fotos von verwundeten palästinensischen oder syrischen Kindern mit verdrehten Gliedmaßen, zerschrammten Gesichtern, von verzweifelten Müttern und Vätern, die sich über die leblosen Körper ihrer Liebsten beugen. Was ist damit?

„Profil“ rückte diese Woche ein Foto von verschütteten Kindern aufs Cover; die Aufnahmen im Blattinneren sind offenbar noch grausamer, darum wurde in weißen Lettern auf schwarzem Grund vor ihnen gewarnt: „Auf den folgenden Seiten sind Kriegsfotos abgebildet, die aufgrund ihrer Drastik verstören können. Deshalb wurden die Seiten unbeschnitten belassen und müssen mit der Schere geöffnet werden.“

Es sind verschiedenste Aufnahmen von den verschiedensten Kriegsschauplätzen. Das ähnelt interessanterweise dem, was seit Längerem im Netz zu beobachten ist. Offenbar ist es nicht mehr so wichtig, wo was genau passiert, und warum, Hauptsache, die Bilder sind drastisch genug: Und so kann es im Netz schon vorkommen, dass sich herausstellt, dass die Kinder, deren Fotos für die Sache der Palästinenser werben, von den Raketen Assads verstümmelt worden sind. Wenn der Schauplatz stimmt, hapert es mit der Zeit: Fotos der letzten Intifada illustrieren den derzeit tobenden Krieg.

Natürlich: Manchmal bewegen Bilder die Welt, man denke an Vietnam, wo zwei Fotos wesentlich zum Ende des Kriegs beigetragen haben. Fotos zeigen uns, was wir uns nicht vorstellen können. Sie machen uns wütend und traurig. Sie mobilisieren uns.

Die Gefahr ist: Wir regen uns auf – statt uns zu informieren. Wir werden nicht hellhörig – sondern stumpfen ob der Masse der Bilder ab. Und wir bedenken zu wenig, dass diese Menschen vielleicht gar nicht damit einverstanden gewesen wären, nach ihrem Tod versehrt und zum Teil halb entkleidet der Weltöffentlichkeit präsentiert zu werden – und ihre Familien auch nicht. Im Netz hat neulich eine Muslima eine andere dafür kritisiert, dass sie Fotos von Toten aus dem Gazastreifen poste. Das sei respektlos gegenüber den Opfern. Die Antwort: „Ich bin sicher, sie hätten das so gewollt.“


Im Zuge der Recherchen zu diesem Text sind mir Standbilder aus dem Video des IS untergekommen – sie kamen via Reuters. „Die Presse“ hat sich entschlossen, diese Bilder nicht zu drucken. Was beklemmt, ist ihre Qualität: Der Henker vermummt in Schwarz, James Foley kniend in Orange, die weite Wüste im Hintergrund – so sieht eine Hochglanzwerbung aus. So inszeniert man Bilder für die Zeitungen und Magazine des Westens. So inszeniert IS – für uns.

Schauen wir diesmal nicht hin.

E-Mails an:bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Ein Helfer der UN in Syrien.
Außenpolitik

IS-Kämpfer exekutierten in Syrien dutzende Soldaten

Die Islamisten haben nach eigenen Angaben 250 Soldaten getötet und zeigen auf mehreren Videos ihre Gräueltaten. Die UNO erhebt indes schwere Vorwürfe.
Außenpolitik

IS verlangt Lösegeld für Geisel aus den USA

Die Terrorgruppe fordert umgerechnet fünf Millionen Euro für die 26-jährige, die bei einem humanitären Einsatz in Syrien unterwegs war.
Angriff auf den Golanhöhen.
Außenpolitik

Syrien: Luftangriff auf Rebellen bei Golanhöhen

Nahe der von Israel besetzten Golanhöhen griffen syrische Kampfflugzeuge eine Rebellenstellung an. Jene konnten ihren Stellung halten.
Shirley Sotloff, the mother of American journalist Steven Sotloff who is being held by Islamic rebels in Syria, makes a direct appeal to his captors to release him in this still image from a video
Außenpolitik

IS: Mutter von entführtem US-Journalisten bittet um Gnade

Steven Sotloff wird seit 2013 in Syrien vermisst. Seine Mutter richtet einen Appell an "Kalif" Al-Bagdadi: Er solle "in muslimischer Tradition Milde walten lassen".

wird
Außenpolitik

Islamisten an Israels Grenze im Golan

Al-Nusra-Front eroberte Grenzübergang Quneitra. Zuvor waren mehrere Granaten aus Syrien auf der israelischen Seite eingeschlagen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.