Europa findet kein Rezept gegen Putin

Russian President Vladimir Putin attends the all-Russian youth forum Seliger held in Tver region
Russian President Vladimir Putin attends the all-Russian youth forum Seliger held in Tver regionREUTERS
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Russlands Präsident hat in der Ukraine-Krise einen Vorteil: seine Rücksichtslosigkeit. Die EU wirkt hilf- und ratlos. Ihre Strategie erschöpft sich in der Hoffnung, dass Putin einlenkt. Er denkt nicht daran.

Ein scharfer Russland-Kritiker (Polens konservativer Premier Donald Tusk) als EU-Ratspräsident und eine unerfahrene, tendenziell moskaufreundliche EU-Außenbeauftragte (Italiens sozialdemokratische Außenministerin Federica Mogherini): Die Personalentscheidungen, die sich am Samstag an der Spitze der EU abzeichneten, spiegeln Europas Ambivalenz im Umgang mit Russland wider, gleichzeitig aber auch den Willen, in dieser größten sicherheitspolitischen Krise des Kontinents seit Dekaden geeint zu bleiben.

Aber wird Europa dadurch handlungsfähiger? Je länger die Ukraine-Krise andauert, desto rat- und hilfloser wirkt die EU. Ihre Strategie erschöpft sich in der Hoffnung, dass Russlands Präsident irgendwann einlenkt und die Separatisten in der Ostukraine zurückpfeift. Doch Wladimir Putin bleibt bisher unbeeindruckt von diversen Sanktionen. Er fährt einfach fort, die Ostukraine mit halb klandestinen, paramilitärischen Methoden zu unterwandern – und alles abzustreiten. Daran werden auch die neuen Strafmaßnahmen, die Europas Regierungschefs am Samstag ins Auge fassten, nichts ändern.

Seine Aktionen lässt der ehemalige KGB-Offizier vorzugsweise mit doppeltem Boden unterlegen. Bestandteil seines Operationsmodus sind das Tarnen und Täuschen. Doch das Lügengebäude bröckelt. Kein vernünftiger Mensch kann mehr daran zweifeln, dass Russland nach der Annexion der Krim auch im Osten der Ukraine militärisch interveniert. Einer der Separatistenführer gab zuletzt offen zu, dass russische Soldaten in der Ostukraine kämpfen – mit dem absurden Zusatz, dies geschehe in deren Urlaub, als ob Armeeangehörige ohne Zustimmung ihrer Vorgesetzten in ihrer Freizeit an einem Krieg teilnehmen könnten. Seit Wochen rattern russische Militärkonvois über die Grenze; ihre Panzer haben die Rebellen auch nicht bei Amazon bestellt.

Zuletzt hat Putin den Militäreinsatz erhöht, um die Separatisten, die in die Defensive geraten waren, vor einer Niederlage zu bewahren. Wer genau hinsieht, wo die Entlastungsoffensive einsetzte, kommt schnell zum Schluss, dass Putin auf ostukrainischem Gebiet möglicherweise einen Landkorridor bis hin zur annektierten Krim-Halbinsel im Süden schaffen will. Für ihn ist ohnehin alles eins: Er will keinen Unterschied zwischen Ukrainern und Russen sehen, wie er neulich erklärte, und spricht von „Neurussland“, wenn er die Ostukraine meint.


Rowdy. Die EU dreht darum zu Recht erneut an der Sanktionsschraube. Doch auch das wird Putin schon eingepreist haben. Sein struktureller Vorteil im Nervenkrieg ist seine Rücksichtslosigkeit. Der Westen hat die militärische Option aus berechtigter Furcht vor einer unkontrollierbaren Eskalation gleich zu Beginn der Krise vom Tisch genommen, Putin nicht. Und deshalb setzt er sich durch – wie ein Rowdy, dem alle verängstigt ausweichen. Wenn die Wirtschaftssanktionen der EU je politische Wirkung zeigen, dann erst mit Fortdauer. Kurzfristig festigen sie vermutlich sogar Putins Herrschaft.

Und inzwischen gibt der Aggressor den humanitären Helfer und großzügigen Vermittler, der sich um das Schicksal der ostukrainischen Bevölkerung sorgt. Es ist eine unverschämte Schmierenkomödie, die Putin inszeniert. Publikum findet er dank „Russia Today“ dafür erstaunlicherweise auch im Westen. Zudem mangelt es nicht an durchaus seriösen Politikern, Diplomaten und Bürgern, die Russland taxfrei Einflusszonen zugestehen wollen, als wäre Europa nach wie vor von einem unsichtbaren Eisernen Vorhang durchzogen, als dürften unabhängige Staaten wie die Ukraine nicht frei über ihre außenpolitische Ausrichtung entscheiden. Wäre man dieser Beschwichtigungslogik 1989 gefolgt, stünden die Bürger zwischen Riga und Budapest allesamt auch heute noch unter der Knute Moskaus.

Europa darf sich Putins Blut-und-Boden-Ideologie, seine riskanten Nullsummenspiele im Geiste des 19. Jahrhunderts nicht aufzwingen lassen. Weder mental noch real.



christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2014)

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