Im Kampf gegen die IS-Extremisten gibt es keine saubere Lösung

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Deutschlands Waffenlieferungen bergen ein Risiko. Die Politik in Syrien und im Irak steht vor einem Dilemma: Sie muss zwischen zwei Übeln entscheiden.

Zum Ruhm und Segen der heimischen Exportwirtschaft liefert Deutschland seit Jahrzehnten Panzer an Saudiarabien und Katar sowie Waffen an Potentaten in aller Welt, ohne mit der Wimper zu zucken. Eigenmächtig versuchte Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß, einen Deal mit dem Apartheid-Regime in Südafrika einzufädeln, der dann eine Grundsatzdebatte vom Zaun brach. Aus guten historischen Gründen an Restriktionen gebunden, keine Waffen in Kriegsgebiete zu schicken, kümmerte sich kaum jemand darum, wie und wo Panzer und Sturmgewehre aus deutschen Rüstungsschmieden zum Einsatz kamen.

Dass gerade die Scheichs auf der Arabischen Halbinsel den Aufstieg der Mörderbanden des Islamischen Staats (IS) finanzierten, öffnete Angela Merkel und ihrer Regierung die Augen und bewegte sie zu einer 180-Grad-Wende in der Außenpolitik. Getrieben vor allem von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen willigte die Koalition in Berlin ein, die Kurden im Nordirak mit Panzerabwehrraketen und Maschinengewehren auszurüsten: als Bollwerk gegen den Vormarsch der Jihadisten.

Der Kanzlerin und ihrem Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, sind die militärischen wie politischen Risken, die unwägbare Eigendynamik ihres Handelns allzu bewusst: dass die Dinge im Hinterhof des Nato-Partners Türkei aus dem Ruder laufen könnten; dass die Waffen – wie bei der Eroberung Mossuls – in die Hände der Gegner fallen könnten; dass sie letztlich die Spaltung des Irak und die Gründung eines eigenen Kurdenstaats im Nordirak befördern könnten. Doch was ist die Alternative? Dem Treiben der Terrormilizen aus der Ferne zuzusehen, die ihre Feinde in mittelalterlichem Furor köpfen, pfählen und massakrieren? Die nicht davor zurückscheuen, einen Völkermord zu begehen und ihre Gräuel via Internet propagandistisch auszuschlachten, um so neue Anhänger auch unter orientierungslosen islamischen Irrläufern im Westen zu rekrutieren?

An der Kriegsfront gilt es, die Gefahr einzudämmen – im Namen der Menschenrechte, aber auch namens der eigenen sicherheitspolitischen Interessen. Der Fall des britischen Henkers des US-Kriegsreporters James Foley, eines gewissen „John“, hat die Problematik des Terrorexports aus Europa drastisch vorgeführt. Von der Faszination des Bösen und der schlichten Schwarz-Weiß-Ideologie des radikalen Islam in den Bann gezogen, gelangen die Desperados der islamischen Welt und die westlichen Terrorjünger über die Türkei relativ rasch und leicht ins syrisch-irakische Hoheitsgebiet des selbst ernannten Kalifats des IS-Führers Abu Bakr al-Baghdadi. Nach Meinung des US-Verteidigungsministers, Chuck Hagel, stellt der IS das Bedrohungsszenario durch die al-Qaida längst in den Schatten. Es scheint eine Frage der Zeit, bis IS-Kämpfer einen Terrorakt auch in Europa verüben werden. Die britischen Behörden hoben die Terrorwarnstufe bereits an. In Nahost geht es auch darum, den schlummernden Feind im Inneren zu bekämpfen.


Die Welt sei chaotisch wie eh und je, mindestens wie zu Zeiten des Kalten Kriegs, konstatierte jüngst Barack Obama. Sein offenherziges Eingeständnis, derzeit keine Strategie in Syrien parat zu haben, hat Kritik und Häme provoziert. Lange hat sich der US-Präsident gegen Waffenlieferungen an die syrischen Rebellen gesträubt, für die unter anderem seine damalige Außenministerin, Hillary Clinton, plädiert hat. Möglich, dass die Aufrüstung den Aufstieg der Islamisten verhindert hätte; möglich, dass sie gerade deshalb die Oberhand gewonnen hätten.

Die Abwägung der Optionen, in diesem Fall zweier Übel, stellt die Politik vor ein Dilemma. Vor einem Jahr war Obama drauf und dran, den Befehl für Luftangriffe gegen das Assad-Regime zu geben, ehe ein Einlenken des Diktators die Militäraktion stoppte. Jetzt erwägt der Präsident, die Luftschläge zum Schutz der Zivilbevölkerung im Irak auch auf Syrien auszuweiten – und müsste dabei in Kauf nehmen, dass sie nicht nur den IS treffen, sondern im Umkehrschluss auch den Massenmörder Assad stützen. Es wäre das Gegenteil dessen, was die Intention des Westens war. Wer hätte dies vor einem Jahr geahnt? Ein Zweckbündnis zeichnet sich ab, unter dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2014)

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