Ein kleiner Hoffnungsschimmer für die Ukraine – mehr leider nicht

A Ukrainian serviceman stands at checkpoint near Debaltseve
A Ukrainian serviceman stands at checkpoint near Debaltseve(c) REUTERS
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Die Waffenruhe in der Ostukraine entspringt den momentanen taktischen Bedürfnissen beider Konfliktparteien. Von Frieden sind sie noch weit entfernt.

Ob und wie lang der Waffenstillstand hält, den die Ukraine mit den pro-russischen Separatisten vereinbart hat, weiß niemand. Für einen Moment zumindest hat sich am Freitag ein Zeitfenster geöffnet, um eine Lösung für den Konflikt im Donbass zu finden. Die Friedensparameter liegen seit mehr als zehn Wochen auf dem Tisch. Der ukrainische Präsident, Petro Poroschenko, hat seine durchaus vernünftigen Vorstellungen für eine Einigung bald nach seinem Amtsantritt in einem 15-Punkte-Plan zusammengefasst – eine Blaupause übrigens für die jetzige Waffenstillstandsvereinbarung. Er war damals wie heute zu politischen Zugeständnissen in der Ostukraine bereit: zu einer Dezentralisierung der Macht und der dafür nötigen Verfassungsänderung, zu einem expliziten Schutz der russischen Sprache, zu vorgezogenen Wahlen, zu wirtschaftlichen und sozialen Investitionsprojekten.

Warum es nicht schon damals, Ende Juni, klappte? Die prorussischen Rebellen wollten ihre Waffen und ihre Abspaltungspläne nicht aufgeben. Direkte Verhandlungen kamen nicht zustande, weil sich die Regierung in Kiew dagegen sträubte. Die Waffenruhe, die Poroschenko am 20. Juni ausgerufen hatte, wurde nach wenigen Tagen gebrochen. Die ukrainische Armee setzte danach auf eine militärische Lösung und drängte die Separatisten tatsächlich in die Defensive, bis den Aufständischen russische Soldaten zu Hilfe kamen, die, so die offizielle Version, ihre Ferien im Nachbarland verbrachten. Das Blatt wendete sich; ein Waffenstillstand schien nun auch wieder der ukrainischen Regierung erstrebenswert. Zudem zeigte Russlands Präsident, Wladimir Putin, sich angesichts der Verschärfung der Sanktionen, die der Westen nach dem massiven „Urlaubseinsatz“ der russischen Armee eingeleitet hatte, zur Abwechslung von seiner konstruktiven Seite: Er legte seinerseits einen Siebenpunkteplan für eine Waffenruhe vor und forderte die Separatisten in der Ostukraine zur Beendigung der Kampfhandlungen auf.

Ein noch wertvollerer Beitrag zum Frieden wäre es gewesen, hätte Putin sich selbst aufgerufen, keine Waffen und Soldaten mehr über die Grenze zu schicken. Doch der Kreml-Chef streitet trotz erdrückender Beweise bis heute ab, in der Ukraine militärisch zu intervenieren. Vermutlich weiß nur Putin selbst, ob er schon genug hat. Ziel eins, die Annexion der Krim, hat er bereits erreicht.

Welche Pläne er in der Ostukraine verfolgt, lässt sich nur erahnen. Falls er einen Landkorridor zur Krim schaffen will, werden die Kämpfe bald wieder aufflammen. Denn dafür fehlt ihm noch ein ganzes Stück. Vielleicht reicht es ihm aber auch schon, den Konflikt nach dem Vorbild Südossetiens, Abchasiens oder Transnistriens einzufrieren und einen Teil der Ostukraine dauerhaft abzukapseln. Dann muss er bloß sicherstellen, dass die mit ihm verbündeten Rebellen ihre Machtbastionen in Donezk und Lugansk behalten. Das Kalkül dahinter: Weder die Nato noch die EU wird die Ukraine als Vollmitglied aufnehmen, solange ein Teil des Landes von prorussischen Separatisten kontrolliert wird.


Eine Schlüsselrolle kann nun der in Wien ansässigen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zukommen, die schon die Waffenstillstandsvereinbarung vermittelt hat. Erstens müssen ihre Militärbeobachter in ausreichender Zahl in der Lage sein, das Abkommen zu überwachen. Zweitens muss die OSZE verhindern, dass unter ihrem Schutzmantel separatistische Fürstentümer mit Checkpoints und eigener politischer Ordnung bestehen bleiben. Drittens kann die OSZE behilflich sein, den Versöhnungsprozess in der Ostukraine durch die rasche Abhaltung von Wahlen in Gang zu bringen, die auch in den Herrschaftsgebieten der Separatisten stattfinden müssen. Viertens sollte sie endlich die russisch-ukrainische Grenze effizient kontrollieren dürfen, damit nicht neuerlich Rüstungsgüter und Kämpfer aus Russland einsickern. Der Haken an der Sache: Die OSZE ist zu entschlossenem Handel nicht fähig. Sie funktioniert nach dem Einstimmigkeitsprinzip: Russland kann alles blockieren oder nach seiner Fasson zurechtbiegen.

Die Chancen auf Frieden stehen nach wie vor schlecht, ergreifen muss man sie trotzdem.

E-Mails an:christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2014)

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