Barack Obama, der Weltaromatherapeut

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Von Hongkong über die Ukraine bis in den Irak und nach Afrika rächt sich der Irrglaube des US-Präsidenten, hehre Worte könnten eine Strategie ersetzen.

Die Welt brennt, doch der Präsident golft: Sucht man nach einem Sinnbild für Barack Obamas Verlust des politischen Gespürs, dann war es die Runde Golf, die der Präsident vor zwei Wochen unmittelbar nach der Veröffentlichung des Videos von der Enthauptung des amerikanischen Journalisten James Foley durch islamistische Mörder in Syrien spielte. Der Hinweis seiner Anhänger, andere US-Präsidenten – allen voran Woodrow Wilson – hätten in ihrer Amtszeit viel mehr Zeit mit Ball und Schläger verbracht, beruhigt nicht wirklich: Wilson, der wie Obama von seiner Hochschulprofessur ohne große praktische politische Erfahrung ins Weiße Haus einzog, legte 1919 in Paris mit seiner schlecht informierten und miserabel umgesetzten Neuordnung Europas und Vorderasiens die Zündschnur für die Explosion des Zweiten Weltkrieges.

Man muss sich die Augen reiben, wenn man Obama heutzutage sprechen hört und sieht. Der Virtuose der öffentlichen Rede, der vor sechs Jahren 200.000 Deutsche in Berlin mit seinen Worten ebenso in kollektive Verzückung zu versetzen vermocht hat wie er seinem Volk (oder zumindest einer Mehrheit der Bürger) den Glauben an die Politik zurückgegeben hat, stottert und stammelt und verirrt sich Mal um Mal im Unterholz der Allgemeinplätze.

Sein Interview am Sonntag auf NBC in der Sendung „Meet the Press“ führte den Erklärungsnotstand und die Widersprüchlichkeit des Präsidenten drastisch vor Augen: Ein Teil seines Jobs als Präsident sei „das Theater“, antwortete Obama auf die Frage nach der öffentlichen Wirkung seiner Golferei. „Nun, das ist etwas, was mir nicht immer von selbst gelingt.“

Erstaunlich: Der Präsident, der dank meisterhafter Beherrschung von Twitter und Facebook zweimal ins Weiße Haus eingezogen ist, kommt mit der politischen Imagebildung nicht mehr zurecht. Vergangene Woche in New York, auf einer Veranstaltung mit Sponsoren seiner Partei, erklärte er, die Welt sei immer schon unordentlich gewesen, wir würden diesen gleichsam unveränderlichen Umstand aber heute wegen der sozialen Medien erst so richtig bemerken.

Also alles halb so wild? Der Krieg im Osten der Ukraine? Die Barbarei der Mörderbanden des Islamischen Staates? Die Auslöschung der Demokratie in Hongkong durch Pekings Regime? Das von Ebola ausgelöste Chaos in Westafrika? Natürlich nicht. Obama weiß das auch. Die USA haben die ersten Sanktionen gegen die Drahtzieher und Förderer der russischen Invasion in der Ukraine verhängt; ohne Druck aus Washington hätten sich die Europäer wohl kaum bewegt. Am Mittwoch wird der Präsident eine Strategie im Kampf gegen den Islamischen Staat ankündigen. Und kein Land investiert in Afrika mehr Geld und medizinisches Know-how in die Bekämpfung von Ebola, als es die Vereinigten Staaten tun.

Doch all das kommt viel zu spät. Obama wird es nun zum Fluch, einem naiven Weltbild anzuhängen, in dem man selbst mit hartgesottenen Zynikern wie Wladimir Putin oder Xi Jinping vernünftig über alles reden kann. Dieser deliberative Stil machte Obamas Reiz aus: endlich ein Politiker, der nicht dem Volk nach dem Maul redet und instinktiv handelt, sondern so lange Für und Wider abwägt, bis er bestmöglich informiert ist. Der professorale Stil wendet sich in der politischen Praxis aber gegen ihn. Bei Machtmenschen wie Putin, Xi oder Assad bewegt man mit gutem Zureden nichts – von den Nihilisten des Islamischen Staates ganz zu schweigen.


Die liberalen Demokratien des Westens haben es mit einem Gegner zu tun, den Michael Ignatieff, wie Obama Harvard-Professor und wie er in der politischen Arena gescheitert, in der „New York Review“ so beschreibt: „Autoritär in der politischen Form, kapitalistisch in der Wirtschaft, nationalistisch in der Ideologie.“

Auf dieser Analyse aufbauend hätte Barack Obama schon vor sechs Jahren eine Strategie der Eindämmung gestalten müssen. Stattdessen hat sich der US-Präsident um gute Stimmung bemüht. Diese Politik ist im Umgang mit den Krisen unserer Zeit so wirksam wie Aromatherapie bei Knochenbrüchen: nämlich gar nicht.

E-Mails an:oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2014)

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