Sanktionen sind ein Mittel gegen den Krieg

ITAR TASS ULAN BATOR MONGLOIA SEPTEMBER 3 2014 Russian president Vladimir Putin at a signing ce
ITAR TASS ULAN BATOR MONGLOIA SEPTEMBER 3 2014 Russian president Vladimir Putin at a signing ceimago/ITAR-TASS
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Neue Sanktionen der EU gegen Russland werden auch heimische Betriebe treffen. Dennoch ist die zivile Eskalation jeder anderen vorzuziehen.

Warum lässt die EU Wladimir Putin nicht in Ruhe? Warum schürt sie mit Sanktionen einen Konflikt, aus dem es sowieso kein einfaches Entrinnen gibt? Die schlichte Antwort liegt in der Dynamik solcher Auseinandersetzungen, die alle einbezieht, die letztlich die Folgen werden tragen müssen. Die EU ist nicht nur wegen ihres Assoziierungsabkommens mit der Ukraine oder wegen des Gasstreits, sondern vor allem wegen absehbarer Entwicklungen längst Teil dieses Konflikts.

Laut einem neuen Bericht der OSZE sind in der Ukraine bis zu 600.000 Menschen auf der Flucht, und die Zahl steigt täglich. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie an westeuropäische Türen klopfen. Die EU ist betroffen und wird es in Zukunft noch stärker sein. Eine zerfallende Ukraine stellt insbesondere für die osteuropäischen Mitgliedstaaten ein erhebliches Gefahrenpotenzial dar. Ängste vor einem Flächenbrand rund um russische Minderheiten, vor politischer Instabilität bis zur Unterwanderung ihrer demokratischen Systeme machen sich breit. Geschürt braucht da nichts mehr zu werden, es entwickelt sich in einigen EU-Ländern ebenso wie in Russland eine Stimmung, die so gefährlich ist, wie selten in der jüngsten Geschichte. Die jüngste Ankündigung des ukrainischen Präsidenten, Panzer in die Hafenstadt Mariupol zu entsenden, wird dieser Eskalation weiteren Vorschub leisten.

Sind da Sanktionen das geeignete Mittel, die Dynamik zu verändern? Sie sind es natürlich nur bedingt, weil sie eine Gegenreaktion verursachen und so zu einer weitern Zuspitzung des Konflikts führen. Sie eröffnen allerdings eine nicht militärische Front und sind damit bereits eine Chance, die Streitigkeiten auf eine zivile Ebene umzulenken. Wenn die EU beispielsweise jene für Russland so wichtige Lieferung von Hochtechnologie zur Erdölförderung einstellt, wird das den wichtigsten russischen Wirtschaftssektor massiv treffen. Wenn Russland im Gegenzug die Überflüge westeuropäischer Fluglinien über sein Territorium verbietet, wird das ebenfalls wirtschaftlich spürbar werden.

Sanktionen sind aber auch ein geeignetes Mittel, alle Seiten daran zu erinnern, wie sehr sie von einander abhängig sind. In einer globalisierten Welt ist die wirtschaftliche Vernetzung so stark, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ein Land einen Rückschritt in seiner wirtschaftlichen Entwicklung erleidet.

Selbst wer Sanktionen als Chance erachtet, darf freilich nicht übersehen, dass sie auch die interne Solidarität stärken – manchmal ebenso für sehr umstrittene politische Varianten. Österreich erlebte das in weit harmloserer Form bei den Maßnahmen der EU-Partner gegen die schwarz-blaue Regierung im Jahr 2000.

Wladimir Putin sitzt durch die Sanktionen des Westens vorerst sicherer im Sattel als vor dem Ukraine-Konflikt. Er kann die Stimmung der Massen stimulieren und sich darüber freuen, dass selbst im Westen ein Verständnis für sein Vorgehen wächst. Nur wer genau unterscheidet, was der russische Präsident spricht und welche Handlungen er setzt, kann derzeit den Vertrauensverlust nachvollziehen, der seinen jüngsten Sieben-Punkte-Plan von vornherein in Misskredit gebracht hat. Er ist nicht der Vermittler von außen, als der er sich gern präsentiert, er ist tief in diesen Konflikt involviert. Er treibt ihn an.


Konflikte in dieser Intensität können erst gelöst werden, wenn der Leidensdruck auf allen Seiten groß genug wird. Es wäre fatal, dies über die militärische Eskalation zuzulassen. Diesen Krieg will niemand oder nur jene, die archaischem Machtstreben etwas abgewinnen können. Die Eskalation über Sanktionen ist die europäische Variante, die letztlich den Weg für ein Umdenken bereiten könnte. Umdenken muss dann freilich nicht nur die russische Führung, die sich von ihrer strategischen Expansionspolitik ebenso verabschieden muss wie die Ukraine von ihrem neu entflammten antirussischen Nationalismus.

In der Realität einer globalisierten Wirtschaft, auf europäischem Boden insbesondere, sind militärische Grenzkonflikte ein Anachronismus. Aber auch der Nationalismus als sinnstiftendes Element für einen Staat aus unterschiedlichen Ethnien ist heute nur noch eine Illusion.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2014)

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